Montag, 23. April 2012

Noctambule III - Lechaivres Auftritt

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Miriam verabschiedete Madame mit einer fröhlichen Umarmung und winkte ihrer Kutsche an der Tür stehend hinterher. Madame war wieder einmal in ihrem Element. Die Gicht hatte sich beruhigt und erlaubte der alten Dame, sich wieder unter das feiernde Volk zu mischen, indem sie Theater, Bälle und Empfänge besuchte. Heute war es das Theater und da Miriam überhaupt kein Interesse an Aufführungen hatte, war Madame eben alleine davon gezogen.



Freudig zog sich Miriam in den Salon zurück und nahm ihre Stickerei zur Hand. Sie stickte noch immer nicht besonders gern, aber es war ein Zeitvertreib und erweckte bei Madame den Eindruck, dass Miriam wenigstens noch ein kleines bisschen Normalität besaß. Lange würde sie sicherlich nicht sticken müssen, denn Sergej hatte erfahren, dass Madame heute ausging und er würde ganz sicher bald in ihrem Zimmer stehen.
Miriam musste lächeln, wenn sie an Sergej dachte. Aus der Verliebtheit war längst ein tiefes, inniges Gefühl geworden und seit geraumer Zeit hatte sie auch die Sicherheit, dass Sergej ihre Gefühle erwiderte.
Er nahm sie viel ernster, besprach mit ihr seine Gedanken und die Schwierigkeiten der gemeinsamen Zukunftspläne. Noch immer hatte Miriam den Wunsch nicht aufgegeben, ein Leben an seiner Seite zu führen und zwar als Vampirin.
Die Tatsache, dass Sergej offenbar um Miriams Hand angehalten hatte, machte sie glücklich. Sergej hatte ihr geschworen, sie zu lieben, doch wollte er sie nicht aus dieser Gesellschaft reißen, ehe nicht alle Angelegenheiten geregelt seien, damit sie eine eigene Sicherheit hatte. Einerseits pfiff sie auf diese Sicherheit, andererseits war sie hin und her gerissen zwischen Freude über diese Fürsorge und Trauer über sein Zögern. War das Materielle denn so wichtig, wenn man liebte? Und wenn sie verwandelt wäre, wozu würde sie das alles noch brauchen? Nun schienen ihre Träume plötzlich wieder in greifbare Nähe zu rücken, zumal ihre offizielle Trauerzeit bald vorüber sein würde.
Anya hatte zwar vor ihrer Abreise noch verbissen versucht, sie davon abzubringen, doch auch die Schauergeschichten, die Anya von der Verwandlung erzählt hatte, konnten Miriam nicht von ihrem Plan abbringen. Sicher hatte Anya das alles erfunden, um sie zu erschrecken. Miriam nahm ihr das nicht übel sondern erkannte darin den Freundschaftsdienst. Aber Sergej hatte ihr einmal gesagt, dass man sich an seine Verwandlung später nicht mehr erinnern könne und so wischte sie alle gruseligen Geschichten einfach beiseite.
So in Gedanken vertieft blickte sie lächelnd auf, als Louis förmlich anklopfte. Ihr Lächeln gefror allerdings bei seinen Worten.
"Monsieur Lechaivre bittet Euch seine Aufwartung machen zu dürfen!" Miriams Körper wurde von einer Gänsehaut überflutet. Ausgerechnet dieser Kerl! Sie hatte ihn komplett verdrängt, nachdem Onkel Matisse ihr versichert hatte, dass er die Eheschließung mit Lechaivre nicht mehr gutheißen und eine Verbindung zu diesem Komarov akzeptieren würde. Nun, nach der Abreise des Onkels war auch Lechaivre aus ihren Gedanken verbannt worden.
Unbehaglich legte sie ihre Stickerei beiseite und erhob sich.
"Bring ihn bitte herein, Louis. Für heute abend war es dann auch alles. Er wird nicht lange bleiben und du kannst dich schon zurückziehen." meinte sie mit vorgetäuschter Sicherheit, wischte sich jedoch verstohlen die Handflächen an ihrem Rock trocken.
Mit frostigem Lächeln blickte sie Lechaivre entgegen und unterdrückte nur mühsam ein Schaudern bei seinem affektierten Auftritt. Sein Kratzfuß wirkte übertrieben und hinterließ den schalen Beigeschmack der Verhöhnung bei ihr.
"Meine liebe, verehrte Miriam! Oder muss ich nun wieder Mademoiselle la Comtesse sagen?" Bei seinem Auftauchen aus der Verbeugung äugte er nach ihrer Hand, die sie nun laut Etikette zu einem Handkuss hätte reichen müssen. Doch Miriam dachte nicht daran. Um dieser Geste zu entgehen, drehte sie sich zu dem kleinen Tischchen und schenkte ein Glas Sherry ein, der stets laut Madames Wunsch bereitzustehen hatte.
"Korrekter wäre es wohl." meinte sie unsicher und deutete auf den Sessel. "Nehmt bitte Platz und berichtet mir von dem Grund Eures überraschenden Besuches." Sie stellte das Glas auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel ab und setzte sich selbst auf das Sofa von Madame. Lechaivre schlängelte sich übertrieben geschmeidig in den Sessel und lächelte amüsiert.
"Ach, so kühl auf einmal, Comtesse! Ich kam natürlich sofort, um aus Eurem entzückenden Mund die tragische Wahrheit zu hören, die ich Eurem Oheim nicht glauben wollte."
Miriam unterdrückte nur mühsam das Frösteln bei seinen gekünstelten Worten. Sie spielte mit einer Falte ihres Kleides und schluckte trocken.
"Ihr könnt es ruhig glauben, Monsieur. Ich habe Euch nie ermutigt und machte mehrmals deutlich, dass ich Eure Werbung nicht wünsche. Warum seid Ihr nur so hartnäckig?" Lechaivre genehmigte sich einen ordentlichen Schluck und musste wieder einmal eingestehen, dass diese alte Schreckschraube Dubrés einen hervorragenden Geschmack besaß.
"Ich bin Euch einfach verfallen, Miriam. Das ist die reine Wahrheit!" Sein Lächeln verwirrte Miriam plötzlich. Es wirkte falsch und aufgesetzt und auf einmal hatte sie das Gefühl, vor einer Kobra zu sitzen. Plötzlich hatte sie Herzklopfen und verwünschte ihre übereilte Idee, Louis schon ins Bett geschickt zu haben. Der lauernde Blick Lechaivres vermittelte ihr Gefahr und dennoch war sie nicht in der Lage, ihn energisch hinauszubitten.
"Das.. das kann ich nicht glauben!" hauchte sie und versuchte mit einem Kopfschütteln die plötzliche Angst loszuwerden. Es gelang ihr nur zum Teil, doch als sie den Mann wieder ansah, war das teuflische Lächeln verschwunden und seine selbstzufriedene Miene wieder da wie immer. Tief durchatmend entspannte sie sich wieder und hob kämpferisch das Kinn.
"Oh, glaubt es mir ruhig! Ihr seid eine Augenweide und Euer natürlicher Charme verdreht mir wieder und wieder den Kopf." erklärte Lechaivre lächelnd. "Hinzu kommt einfach, dass ich Euch schon so lange kenne und Eure schreckliche Situation den Beschützer in mir weckt. Ich würde Euch auf Händen tragen, wenn Ihr mich nur ließet!"
Miriam schluckte. Sie hatte keine Erfahrung in solchen Dingen. Noch nie hatte sie überhaupt einen offiziellen Verehrer gehabt und normalerweise standen einem Mädchen die Eltern dabei zur Seite. Mama hätte ihr bestimmt erklärt, wie man damit umging und sie wäre auch niemals allein mit diesem Ekel, wenn Mama noch leben würde. Plötzliche Trauer überkam sie wieder und ihr wurde bewusst, wie schutzlos sie sich wirklich fühlte.
"Ich.. ich weiß nicht, was ich sagen soll." stammelte sie schließlich und blickte hilflos auf. Lechaivre hatte sie offenbar genau beobachtet und sie hatte das Gefühl, als habe er ihre Gedanken gelesen. Nun stellte er sein Glas mit einer entschiedenen Bewegung ab und erhob sich. Sie blickte zu ihm auf, als er den Tisch umrundete und nun hinter das Sofa trat. Ihre Nackenhaare sträubten sich, als sie spürte, dass er genau hinter ihr stehen blieb seine Hände leicht auf ihren Schultern spürte.
Lechaivre beugte sich zu ihr herunter und legte seinen Mund an ihr Ohr. Seine Hände streichelten sanft ihre Schulter und glitten schließlich zu ihrem Hals, wo sie mit stärkerem Druck liegen blieben.
"Das macht nichts, Miriam. Ich werde dir einfach ein paar Fragen stellen und du wirst sie beantworten. Die Fragen sind leicht und du musst nur einfach bei der Wahrheit bleiben, dann weißt du auch, was du mir sagen willst." flüsterte er und presste seine Fingerspitzen schmerzhaft in ihren Halsansatz.

1 Kommentar:

  1. Lechaivre stellt sich geschickter an, als ich es ihm zuetraut hätte, der Schnösel!

    Er plant also Miriam die Informationen unter Folter zu entlocken? Das wird einem, potenziell vor der Tür stehenden, Sergej aber noch viel weniger gefallen. Die Reaktion auf Lechaivre kann ich mir wunderbar vorstellen.

    Insgesamt hat sich Lechaivre aber auch schwer unschicklich verhalten. Komisch, dass Louis überhaupt zugestimt hat, wegzugehen. Abends ein alleinstehendes Mädchen zu besuchen, ist völlig unpassend. Übrigens heute auch noch nicht.

    Ich denke da steht Action ins Haus.

    Liebe Grüße
    Joe

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