Samstag, 14. April 2012

Noctambule III - Keine Wahl

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

"Nun setz dich doch endlich hin, Kind!" bremste Madame Dubrés die unruhige Miriam, die nervös vor der Sitzgruppe auf und ab ging.
"Ich kann doch jetzt ohnehin nicht still sitzen! Ach Amanda, habe ich denn überhaupt eine Möglichkeit?" In den sieben Monaten, das sie nun schon hier bei Madame Dubrés wohnen durfte, hatten die beiden so verschiedenen Frauen sich angefreundet.
Miriam sah in der fülligen, gichtkranken Gesellschaftshoheit, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, eine mütterliche Freundin, Madame selbst hatte das junge Mädchen einfach in ihr Herz geschlossen und unter ihre Fittiche genommen, nachdem sie mit einem Schlag beide Eltern und ihr Elternhaus verloren hatte.


Madame fühlte sich heute nicht besonders wohl. Es war einer der Tage, an denen ihre Gicht sie jede Bewegung schmerzhaft spüren ließ und ihre Laune in den Frostbereich katapultierte. Bevor Miriam bei ihr eingezogen war, hatte sie übellaunig ihr Personal gescheucht und ihre Ärzte beschimpft.
Aber seitdem das Mädchen bei ihr war, versuchte sie mehr und mehr, sich ein wenig zurück zu nehmen, denn die Kleine wurde völlig panisch, wenn es ihrer Gastgeberin so schlecht ging. So versuchte sie auch jetzt ihre Flüche bei sich zu behalten und sich lieber auf den Kummer des Mädchens zu konzentrieren.
"Ich fürchte nein, mein Liebes. Er ist nun einmal dein Vormund und wenn er eine Ehe bereits arrangiert hat, dann wird auch dein Unwille nichts daran ändern. Er kann sogar den Ehevertrag in deinem Namen unterschreiben, weißt du." erklärte sie vorsichtig.
Seit Monaten hatte sie stillschweigend geduldet, dass ihr junger Schützling ein heimliches Techtelmechtel mit diesem Russen unterhielt. Keine der Frauen sprach offen darüber, doch war Amanda absolut sicher, dass Miriam schon lange keine Jungfrau mehr war. Sie gönnte es dem Mädchen, immerhin war dieser Sergej ein stattlicher Bursche und klug genug, das Mädchen nicht Hals über Kopf in eine übereilte Ehe mit ihm zu drängen, wenn sie selbst noch nicht so weit war.
Amanda hätte Miriam sogar unterstützt, doch da Miriam keinerlei Anstalten machte, Amanda in ihr Geheimnis einzuweihen, blieb auch der alten Dame nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu beobachten. Miriam stampfte nun mit dem Fuß auf und starrte Amanda funkelnden Blickes an, was die alte Dame aus ihren Gedanken riss.
"Das ist so ungerecht! Ich kann Lechaivre nicht ausstehen! Ich habe ihn abgewiesen, seine Besuche einfach nicht empfangen oder ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ich seine Gesellschaft nicht will! Warum wirbt er denn um Himmels Willen weiter?" Amanda stieß ein Seufzen aus.
"Weil dein Name für ihn wichtig ist. Und sehr wahrscheinlich auch deine Mitgift. Und möglicherweise schuldet dein Onkel ihm einen Gefallen, wer weiß? Ich habe leider nichts herausfinden können." Sie musterte die knapp siebzehnjährige Comtesse anerkennend. "Du wärest sein Gesellschaftsbonus. Und außerdem bist du nun einmal auch wirklich ein hübsches, reizendes und sehr anziehendes Mädchen." gab sie seufzend zu. Miriam machte eine wegwerfende Geste, doch bevor sie antworten konnte, erschien Louis und ließ Matisse und seine Frau herein.
Madame versuchte gar nicht erst aufzustehen sondern wedelte ihre Gäste mit der Hand herbei wie Personal.
"Ah, willkommen in meinem bescheidenen Heim! Verzeiht, dass ich sitzen bleibe, aber meine Gicht bringt mich heute um!" begrüßte sie das Paar.
Matisse, der dies bereits kannte, trat einfach näher, doch seine Frau wirkte gerade leicht verschreckt durch die hoheitsvolle Geste. Matisse steuerte auf Madame zu und beugte sich zu einem angedeuteten Handkuss über die dargebotene Hand. Während Bellinda in einem viel zu tiefen Knicks versank, wurde sie von Madame mit scharfem Auge einer Musterung unterzogen.

"In der Küche brodelte es bereits seit Eurer Ankunft und das Essen sollte bald auf dem Tisch stehen. Ich hielt es für klüger, Eure Ankunft abzuwarten statt das Essen aufzuwärmen und dadurch zu verderben. Falls Euer Magen bereits revoltiert, bedient Euch bitte nach Herzenslust an den kleinen Amuse-Gueule." verkündete sie und deutete auf die kleinen Appetithäppchen, die dekorativ auf dem Tischchen standen.
"Eure Umsicht ist geradezu sprichwörtlich, Madame. Ah, Miriam, du siehst entzückend aus!" Matisse zog seine widerstrebende Nichte in die Arme und hauchte einen Begrüßungskuss auf ihre Stirn, den Miriam nur widerwillig hinnahm. Ihr Gesicht hellte allerdings bei Bellindas Anblick ein wenig auf.
"Tante Bellinda, ich freue mich, dich zu sehen." erklärte sie aufrichtig und umarmte ihre Tante. Dann zog sie sie neben sich auf das Sofa und schenkte ihr sofort eine Tasse heißen Tees ein. Matisse wartete stumm die Einladung zum Hinsetzen ab, die Madame mit bewusster Verzögerung schließlich durch eine Handbewegung gab und ihm das Hinsetzen erlaubte.

1 Kommentar:

  1. Miriams Nervosität ist nur allzu verständlich. Auch sie weiss, wie die Lage um sie steht und auch wenn sie noch aus Trotz nicht einsehen will, dass ihr Schicksal besiegelt ist, hat sie es doch wohl innerlich schon akzeptiert.

    Mich wundert ein wenig, dass Miriam nicht auf die Idee gekommen ist mit Madame über Sergej zu sprechen. Sie hatte die Affäre doch längst erragen und auch mit geschickten Fragen, Miriam geenüber angedeutet, dass sie es weiss. Warum hat sich das Mädchen daruf nicht eingelassen? Und warum hat Sergej nicht darauf bestanden? Er muss Madame doch auch halbwegs einschätzen können? Und überhaupt? Wo ist Sergej!

    Der Musternde Blick von Amanda auf Bellinda zeigt deutlich, dass sie den Plan durchschaut hat. Und ich sehe noch eine Gefahr für Matisse' Plan: Was, wenn seine scheinbar sehr unbekümmerte Frau sich verplappert und ihrem Gatten damit das Messer in den Rücken rammt, ohne das zu wollen? Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das passiert, zumal Bellinda ja durchaus Sympathie für Miriam zeigt.

    Liebe Grüße
    Joe

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