Freitag, 27. April 2012

Noctambule III - Indiskutabel!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Drei. Für eine Inhaltsübersicht zu bereits veröffentlichten Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule III

Amanda hörte, wie sich die Salontür hinter ihr leise schloss, achtete aber nicht weiter darauf, denn das Bild der Verwüstung ließ sie mit offenem Mund stocksteif erstarren und mit den Augen die Szenerie abtasten.
Zwei ihrer sechs Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, waren zertrümmert. Teilweise hing der Fensterrahmen zersplittert in der Verankerung, teilweise steckten im noch festen Rahmen aber auch messerscharfe Glasscherben.


Obwohl der Frühling sich bereits deutlich bemerkbar machte, war es zu dieser späten Stunde doch noch recht kühl und der lodernde Kamin schaffte es nicht, den kalten Luftzug der offenen Fenster zu unterdrücken. Ein Tischler hämmerte und sägte im Garten lautstark an einer Holzverkleidung, die die Fenster provisorisch schließen sollte.
Auf dem edlen Parkett lag Schmutz aus dem Garten, ihr Tischchen mit dem kostbaren Sherry war zertrümmert und Glasscherben der Karaffe waren mitsamt Inhalt auf dem Boden verteilt.
Amanda entdeckte Miriam sofort unter einer warmen Decke auf dem Sofa, halb in den Armen Sergejs verschwindend, der sie eng festhielt und ihr gerade ein Wasserglas reichte. Auf einem der Sessel erkannte sie den Arzt, der gerade eindringlich auf die Köchin einredete und ihr offensichtlich Anweisungen für die Zubereitung eines beruhigenden Tees gab.

Mit Amandas Eintreten verstummte jede Unterhaltung und die Köpfe hoben sich. Nur noch das Hämmern im Garten war zu hören. Als Madame die großen, verweinten Augen Miriams in dem blassen Gesicht sah, breitete sie instinktiv die Arme aus und rauschte auf das Sofa zu.
"Mein armes Kind! Du lieber Gott, ich bin ganz fassungslos!" Sie riss Miriam aus Sergejs Umarmung und drückte sie an sich. Dabei hoben sich ihre Augen zu Sergej und er konnte ihr kaum merkliches, anerkennendes Nicken sehen, mit dem sie ihn begrüßte und offensichtlich auch seine Anwesenheit gut hieß.
"Ich bestehe darauf, sofort zu erfahren, was genau vorgefallen ist!" erklärte sie schließlich und drückte Miriam zurück in Sergejs Arme. Doch bevor Sergej oder Miriam das Wort ergreifen konnten, wandte sich Madame dem Arzt zu und betrachtete ihn fast vorwurfsvoll. Der Mann schaute ruhig und völlig unbeeindruckt zu ihr auf.
"Ich bin soweit fertig, Madame. Der jungen Dame fehlt nichts weiter. Ein paar Prellungen hat sie und am schlimmsten ist sicher der Schock. Sie sollte sich ausruhen, schlafen und den Tee trinken, den ich ihr verordnet habe. Mehr müssen wir nicht tun." erklärte er beruhigend. Während seiner Worte räumte er seine Tasche ein, stand auf und machte eine kleine Verbeugung. "Wenn Ihr wünscht, schaue ich morgen noch einmal nach Euch." bot er an, doch an seinem Tonfall war bereits zu hören, dass er das eigentlich nicht für nötig hielt. Allerdings konnte er einen Hausbesuch anrechnen und die Chancen, dass die verweichlichte Oberschicht einen weiteren Besuch verlangte, standen nicht schlecht. Doch Miriam schüttelte den Kopf.
"Nicht nötig. Mir geht es ganz gut." fiepste sie und starrte Madame tapfer an, die sie misstrauisch fixierte.
"Na gut. Ich danke Euch, Francois. Gut, dass Ihr gleich zur Stelle wart." Madame entließ den Arzt mit einem freundlichen Nicken und setzte sich auf dessen Platz nahe am Kamin.
"So, und nun will ich hören, was geschehen ist. Mein schöner Salon! Völlig ruiniert! Aber wenigstens bist du nicht verletzt." Sie schaute fragend zu Sergej.
"Ich kam gerade noch rechtzeitig, Madame. Lechaivre war dabei, Miriam mit roher Gewalt gefügig zu machen. Sie hat sich tapfer gewehrt, war ihm aber nicht gewachsen. Die meisten Schäden in diesem Raum müsst Ihr mir ankreiden, Madame. Ich ersetze den Schaden selbstverständlich." Während seiner Worte hatte er kurz mit einer liebevollen Geste zu Miriam herunter geschaut, deren Wangen gerade wieder hochrot geworden waren und die sich noch tiefer unter der Decke verkroch. Sie mied den Blickkontakt mit Madame Dubrés ganz bewusst, drückte sich aber offensichtlich an Sergej.
Madame unterdrückte bei dem Anblick der Beiden ein Schmunzeln. Die Beziehung der Zwei war nicht zu übersehen und rührte sie, auch wenn diese Situation gesellschaftlich unhaltbar war. Aber solcherlei Dinge hatten Amanda noch nie besonders geschert, es sei denn, sie hatte die Möglichkeit, selbst ein wenig zu intervenieren. Doch nun riss sie sich zusammen und schenkte ihre Aufmerksamkeit erneut Sergej.
"Nun, den Schaden wird Lechaivre begleichen, nicht Ihr, junger Mann!" verkündete sie streng. "Wo ist der Bursche?"
"Man hat ihn verarztet, was weit mehr Zeit in Anspruch nahm als die Versorgung Miriams." Sergej freute sich sichtbar darüber. "Er befindet sich in seinem Haus, steht aber unter Arrest und muss nun erst einmal selbst wieder gesund werden. Er kann froh sein, dass er noch lebt." Sein Knurren ließ Amanda kurz erschauern und sie schüttelte sich, um das unangenehme Gefühl einer Bedrohung los zu werden.
"Ihr solltet selbst froh darüber sein, mein Guter! Nicht, dass ich Lechaivres Verhalten nicht verabscheuungswürdig finde! Es ist indiskutabel und ich will wissen, was in ihn gefahren ist, mein Hausrecht so zu missbrauchen und meinen Gast anzugreifen, nicht zuletzt eine wehrlose, junge Frau!" Wieder einmal donnerte sie ihren Stock auf den Boden, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Doch bei all ihrem Zorn lag noch immer eine Frage in ihrem Blick, während sie die Zwei betrachtete.
Keiner der Beiden machte Anstalten, ihr etwas zu erklären. Miriam schauerte und versuchte offenbar, die Erinnerungen zu verdrängen, die sich gerade wieder an die Oberfläche drängten. Sergej drückte sie sanft an sich und hielt sie eng umschlungen, als wäre sie nur zwischen seinen Armen sicher vor allem Übel. Schließlich siegte Amandas Pragmatismus über ihre Neugier und sie erhob sich mühsam.
"Nun, da es dir gut geht, Miriam, empfehle ich, dass du ins Bett gebracht wirst. Ich werde meine eigene Zofe damit beauftragen. Junger Mann, ich bin euch zu tiefstem Dank verpflichtet, dass Ihr Miriam gerettet habt! Aber ich will aus diesem engen Kleid heraus und bin erschöpft. Ihr könnt Miriam gerne morgen wieder besuchen, aber heute ist die Grenze der Schicklichkeit überschritten." Ihre energischen Worte ließen Sergej zu Miriam herunter blicken. Sie hob das Gesicht zu ihm und für einen kurzen Moment hatte Madame Dubrés den Eindruck einer stummen Zwiesprache zwischen den Beiden.
Schließlich nickte Sergej fügsam und schob Miriam sacht auf das Sofa, um sich zu erheben. Er verbeugte sich förmlich vor der alten Gastgeberin und deutete einen Handkuss auf ihrem Handrücken an.
"Ihr könnt mit meinem baldigen Besuch rechnen, Madame!" versprach er und warf Miriam einen letzten, langen Blick zu.

1 Kommentar:

  1. Ich habe das Gefühl, Sergej wird noch erheblich schneller wiederkommen, als Madame ahnt. Allerdings hat sie auch keine Ahnung davon, dass Sergej mühelos im zweiten Stock den Eingang nehmen kann.

    Schön weiterhin, dass sich das alles in eine sehr nette Richtung klären lässt. Lechaivre ist also verarztet und wird unter Arrest gestellt? Wobei ich mich da frage: "von wem?"

    Wie lange es wohl braucht bis er gesund wird? enns zu schnell geht, würde ich mir jedenfalls Sorgen machen ;)

    LG
    Joe

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