Mittwoch, 15. Februar 2012

Placebos

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

Lena Rosenbaum bekam nur langsam einen Einblick in Nadjas Vergangenheit. Doch schon nach den ersten fünf Minuten war sie sich sicher, dass diese Mädchen mehr mit sich herumtrug als die meisten anderen ihrer Patientinnen. Überhaupt war sie auf eine morbide Weise fasziniert. Ihre Kunden waren inzwischen handverlesen und gehörten alle zu den oberen 10.000 der Gesellschaft von Seattle. Was sie für gewöhnlich zu lösen hatte, waren Depressionen, welche sich eine Millionärsgattin selbst eingeredet hatte, oder auch das ein und andere Burn-Out-Phänomen an irgendwelchen Workaholics.

Viele deiser Leute wollten lediglich Medikamente, weswegen sie immer einen ganzen Stapel bunt verpackter und mit medizinischen Bezeichnngen versehene Milch- und Traubenzuckertabletten in ihrem Schreibtisch aufbewahrte. Allzu oft kam es vor, dass Patienten selig unwissend mit einer Packung Placebos und ein paar strengen Anweisungen, wie sie zu nehmen wären, die Praxis verließen und nie mehr wiederkamen.

Natürlich hatte sie auch Patienten mit wirklichen Problemen, aber verglichen mit dem was Nadja seit nunmehr einer Stunde erzählte, konnte man dort wohl nicht mehr von Problemen reden. Mit morbider Faszination betrachtete sie das Mädchen, dass sich inzwischen vollkommen in Rage geredet hatte und langsam alle Hemmungen fallen lies. Dr. Rosenbaum hate immer wieder Probleme der Geschichte zu folgen und nur langsam entstand ein klares Bild von dem, was eigentlich passiert war.

Zwar besaß sie eigentlich ein hervorragendes Gedächtnis und verzichtete weitestgend darauf, während Therapiesitzungen viel mitzuschreiben, doch in diesem Fall hatte sie schon fast zwei Seiten Notizen auf ihren Block gekritzelt. Immer wieder stellte sie kleine Nachfragen, um Nadja am reden zu halten und vor allem um die Dinge erst einmal genau zusammensetzen zu können. Die jüngeren Probleme waren scheinbar schon weit in einer Kindheit mit einem gewalttätigen Vater entstanden und gipfelten nun in den Ereignissen der letzten zwei Jahre, seit sie von zu Hause fortgelaufen war um in Deutschland Krankenschwester zu werden, jedoch in die Fänge einer Menschenhändlerbande geriet.

Was Nadja über die Zeit danach erzählte blieb für Dr. Rosenbaum weiterhin vage und sie beschloss dies auf spätere Sitzungen zu verschieben. Die jüngsten Ereignisse galt es als erstes in eine Reihe zu bringen, nicht zuletzt um eventuellen Streit mit der besten Freundin zu vermeiden. Wenn dies zur Belastungsituation noch dazu kam, machte das sämtliche Lösungsansätze deutlich schwieriger. Während der gesamten Erzählungen hatte die Ärztin all ihre Körperbeherrschunge gebraucht. Es gehörte zu ihrem Ansatz, dass sie auch die ungeheurlichsten Geschichten möglichst reglos hinnahm und ihre Reaktionen lieber sehr präzise wählte. Sie hatte auch schon von den größten Familientrigen und gar Mordversuchen gehört und war dabei ruhig geblieben. Doch Nadja heute verlangte ihr noh einmal alles ab.

Etwas atemlos grff Nadja nach ihrem Wasserglas, welches ihr Dr. Rosenbaum schon vor einer Weile hingestellt hatte. Ihr Herz klopfte wie wild und sie sah die Ärztin mit einer Mischung aus Scham und Erwartung an. Lena Rosenbaum versuchte sich zu konzentrieren. Sie hatte Nadjas Ausstieg aus dem Redefluss seit etwa fünf Minuten erwartet und konnte doch jetzt nicht sofort einsteigen. Sie holte tief Luft um sich ein paar Augenblicke zu verschaffen. Dann wusste sie, wo sie ansetzen wollte: "Du hast erzählt, als du dich mit Joe gestriten hast, bist du von zu Hause weggefahren und es war Zufall, dass du Ashley getroffen hast.", resümmierte sie. Nadja nickte. "Ich bin einfach zur Schule gefahren. Irgendwie, wie automatisch." "Viele andere Mädchen wären vermutlich zu ihrer Mutter gefahren. Warum hast du das nicht gemacht?"

2 Kommentare:

  1. Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Nadjas Mutter kommt in Nadjas Gedanken quasi gar nicht vor und das ist schon sehr verwunderlich. Dafür gibt es natürlich eine ganze Menge Gründe, die ein Psychologe sicherlich kennt. Lena wird das schon noch herausfinden.
    Gut ist auf jeden Fall schon mal, dass Nadja über eine Stunde lang wie ein Wasserfall geredet hat. Das hat einiges gelöst und sie wird weiter reden :)

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  2. Schön, dass Nadja sich öffnet und alles erzählt. Hätte nicht mit gerechnet dass sie das bereits am ersten Tag macht. Dr. Rosenbaum scheint die richtige Wahl gewesen zu sein, auch wenn die jetzt vielleicht etwas überfordert ist, da Nadjas Probleme ja keine ihrer normalen Schickimicki-Problemchen sind.

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