Mittwoch, 26. Oktober 2011

Noctambule II: Unerwartete Hilfe

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Joscelin fühlte sich vor Erleichterung ganz schwach, als die Tür des Armenhauses sich knarrend öffnete. Ein alter Mann steckte den Kopf durch den Spalt und betrachtete sie unwirsch.
"Was willst du?" blaffte er sie an. Joscelin ließ sich nicht beirren.
"Ich brauche einen Arzt! Bitte ganz schnell!" flehte sie und richtete ihre Augen bettelnd auf das Gesicht des Mannes.
"Zu dieser Stunde? Was denkst du dir denn?" bellte der Alte. Joscelin faltete innig die Hände und sah ihn eindringlich an.


"Bitte!! Ich kann ihn bezahlen! Aber sie stirbt sonst! Bitte!" flehte sie noch einmal. Der Mann stieß ein verächtliches Schnauben aus und schüttelte den Kopf.
"Wenn einer hier wäre, hätte er genug zu tun! Scher dich weg!" schnauzte er und drückte die Tür vor Joscelins Nase wieder zu. Das Mädchen stieß ein verzweifeltes Schluchzen aus und starrte fassungslos auf die Tür. Wimmernd hämmerte sie wieder dagegen und hörte nicht auf, bis der Alte die Tür noch einmal öffnete. Doch nun war er wütend.

"Du weckst das ganze Haus, Flittchen! Scher dich weg, sagte ich!" schnauzte er noch einmal und schob sie mit einem groben Stoß von der Tür weg. Joscelin begann zu weinen.
"Aber ich brauche doch Hilfe!" jammerte sie verzweifelt. Der Alte wollte etwas erwidern, doch verstummte er plötzlich. Hinter dem Mädchen stand plötzlich ein sehr blasser Mann, der ihn stumm aus seinen dunklen Augen ansah. Der Pförtner wollte wegsehen, doch kehrten seine Augen sofort in dieses seltsam schöne Gesicht zurück. Er hatte das Gefühl, von den Augen gefangen zu werden und blinzelte.
Je länger er den Mann anstarrte, desto mehr bekam er das Gefühl, das Gesicht käme näher und näher. Während er sicher war, dass diese seltsamen Augen zu glühen anfingen, festigte sich in ihm der Wunsch, die Tür weiter zu öffnen, das Mädchen endlich hereinzulassen und jemanden herzuholen, der mehr zu sagen hatte als er.
Ihm fiel nicht auf, dass die Kleine zwischen ihm und dem Fremden sich umsah und völlig verwirrt immer wieder den Kopf von einem zum anderen drehte. Schließlich trat er stumm zurück und fühlte sich unendlich erleichtert dabei. Er tat das Richtige. Mit tappsigen Schritten drehte er sich um und ging den düsteren, schmuddeligen Flur entlang, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgte oder nicht. Er musste unbedingt jemanden holen, etwas anderes war nicht mehr wichtig.

Joscelin wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Fremde, der sie festgehalten hatte, stand aus heiterem Himmel wieder hinter ihr und sein Erscheinen schien Wunder zu wirken. Er konnte nicht böse sein und wenn sie Anyas Erzählungen glauben sollte, dann war er auch nicht böse, sondern freundlich und höflich. Anya hatte ihr auch berichtet, dass ein Vampir mit Ehrgefühl Kindern und Jugendlichen nichts antat.
"Danke!" hauchte sie, wurde aber nur sanft vorwärts geschoben. Sie verdrängte die Frage, was wohl geschehen würde, wenn der Fremde gar nicht zu den Guten gehörte. Wichtig war jetzt nur, dass man sie herein gelassen hatte.
Der Alte öffnete eine Tür und trat ein, wobei er die Tür weit offen ließ, sodass Joscelin ein gemütliches Zimmer erkennen konnte, das von Kerzenlicht erhellt wurde. Es war armselig aber sauber eingerichtet. Ein großer Tisch stand darin, grobe Stühle standen unordentlich um den Tisch verteilt und offensichtlich war hier vor kurzem noch Brot gegessen worden, wenn man die vielen Krümel auf dem Tisch betrachtete. Joscelin erkannte eine ältere Frau am Tisch und drei Männer, die offenbar gerade herzlich gelacht hatten und nun erstaunt zu dem alten Mann sahen.
"Was gibt es denn, Pierre?" fragte die Frau freundlich. Joscelin drängte sich an dem Alten vorbei ins Zimmer und machte einen hastigen Knicks.
"Bitte, ich brauche ganz, ganz schnell einen Arzt!" erklärte sie hastig. Die Vier am Tisch musterten Joscelin freundlich, doch die Frau sprach weiter.
"Erklär mir schnell, warum. Er hat sehr viel zu tun, weißt du." Joscelin nickte und räusperte sich. Die Frau lächelte sie milde an und griff nach einem Becher, den sie mit Wasser füllte und Joscelin reichte. Dankbar trank sie einen tiefen Schluck und wischte sich den Mund sauber.
"Meine.. meine.. Mutter. Sie hat sehr hohes Fieber, schon fast zwei Tage lang. Es steigt immer mehr und sie ist gar nicht mehr ansprechbar." erklärte sie mit einem scheuen Blick über die Schulter. Doch der Fremde war verschwunden. Verblüfft drehte sie sich ganz um, aber sie sah ihn nicht mehr. Ihr Umdrehen irritierte die Frau und sie spähte ebenfalls auf den Gang.
"Ist da noch jemand?" fragte sie nach, doch Joscelin schüttelte schulterzuckend den Kopf.
"Ich dachte nur…" setzte sie an und schwieg wieder. Wichtiger war der Arzt. Auch die Frau schien so zu denken und widmete sich wieder dem Mädchen.
"Weißt du, woher das Fieber kommt?" fragte sie nach. Joscelin seufzte und nickte zweifelnd.
"Ich glaube ja. Sie wurde überfallen und ist verletzt. Ein Messerstich war's. In die Seite. Und außerdem ist sie schwanger. Und sie trinkt auch gar nichts mehr. Sie macht einfach den Mund nicht auf!" Nun sprudelte es aus ihr heraus, die ganze Verzweiflung löste sich und ein Schwall Tränen rann über ihre Wangen. Die Frau stand auf und nahm das Mädchen in den Arm.
"Beruhige dich. Was du sagst klingt ernst, aber wenn wir uns beeilen, können wir es schaffen." meinte sie sanft. Joscelin hob den Kopf.
"Holt Ihr denn den Arzt?" fragte sie hoffnungsvoll. Doch die Frau schüttelte bedauernd den Kopf und strich ihr über das Haar.
"Das geht nicht, Kind. Er schläft endlich einmal wieder zu Hause und erholt sich. Im Moment geht ein böses Fieber um, das wir kaum eindämmen können. Ich kenne mich aber aus. Ich komme mit." erklärte sie beruhigend und ließ das Mädchen los, um hastig ein paar Dinge in einen Beutel zu packen.
"Pierre, würdest du bitte den Muli vorspannen? So können wir sie hier her bringen, wenn ich dort nicht helfen kann und wir haben Zeit gespart." bat sie den mürrischen Pförtner, der murrend verschwand. Joscelin knetete unruhig ihre Finger. Jetzt, wo Hilfe da war, ging es ihr nicht schnell genug zurück. Aber sie musste sich gedulden, bis das Maultier eingespannt war und die Frau alles zusammen gesucht hatte, was sie brauchte.
Auf dem Weg zum Wagen legte sie den Arm um Joscelin und lächelte beruhigend.
"Unterwegs berichtest du mir alles, was du weißt und woran du dich erinnern kannst, ja? Wir schaffen das schon!"

1 Kommentar:

  1. Ui - Fabrizio als stummer Helfer aus dem Nichts. Seine Neugier und sein Instinkt werden belohnt. Joscelin hat erwähnt, dass ihre "Mutter" schwanger sei. Wenn er da noch zugehört hat, wovon ich ausgehe, sollte er jetzt sicher sein.

    Ein Maultier wird angespannt. Das gibt ihm sicherlich genügend Zeit Armand, zu rufen und die Verfolgung gemeinsam aufzunehmen. Denn jetzt, wo George nicht mehr in der Stadt ist, kann man ja die Telepathie problemlos benutzen.

    Die Amme, wird hoffentlich ihre Gutherzigkeit nicht mit dem Leben bezahlen. Anyas Hunger muss gigantisch sein. In der Sekunde wird sich fragen, was nun stärker ist - Ihr Selbsterhaltungstrieb oder ihr Wille, aufzugeben.

    Ein Transport, wie sie ihn anstrebt allerdings dürfte kaum die richtige Idee sein für eine so schwer fiebernde Frau.

    Schauen wir einfach mal, wie das ausgeht. So ein klein wenig befürchte ich ja noch, dass Fabrizios Absichten vielleicht nicht ganz die sind, die sein Vater vorgegeben haben könnte. Zwar stehen die Vampire arg unter der Fuchtel des Alten, aber ihnen dürfte ebenso klar sein, dass er nicht alles mitbekommt. Und nicht alle Sanghieri teilten seine Großherzigkeit.

    Hoffentlich steht Fabrizio auf der richtigen Seite.

    LG
    Joe

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