Montag, 24. Oktober 2011

Noctambule II: So blass wie Anya

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Sie rannte den ganzen Weg zur Stadt und machte nur dann kurze Gehpausen, wenn sie außer Atem war. Immer wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen und das Schluchzen raubte ihr zusätzlich die Luft.
Hinzu kam nun die Angst, alleine im Dunkeln unterwegs zu sein. Der Überfall der beiden Landstreicher war wieder vor ihrem inneren Auge. Sie hatte nicht nur Angst um sich selbst. Was sollte aus Anya werden, wenn ihr etwas zustieß?


Wolken hatten sich vor den Mond geschoben und verdunkelten den Weg zusätzlich. Das kleine Waldstück, dass sie durchqueren musste, war in unheimliche Schatten getaucht. Jedes Knacken und Rascheln ließ sie zusammenfahren und auch wenn sie niemanden in ihrer Nähe erkennen konnte, fühlte sie sich von tausend Augen beobachtet. Eine Gänsehaut nach der anderen lief über ihren Körper. Wieder rannte sie und als die ersten Lichter der Stadt durch die Bäume blinkten begann sie vor Erleichterung heftig zu weinen.
Notre Dame de la Garde ragte dunkel gegen den Nachthimmel, aber der Kirchturm war Joscelins Wegweiser. Sie rannte auf den kleinen Hügel zu und umrundete den Friedhof wie schon am Morgen auf dem Weg zum Markt.
Verzweifelt überlegte sie, wo sie einen Arzt finden könnte. Ihr fiel das Armenhaus auf der anderen Seite des Hafenviertels ein. Dort hatte ihre Mutter die kleine Schwester zur Welt gebracht und dort gab es auf jeden Fall eine Hebamme. Ob die vielleicht Rat wusste? Ob sie um diese Zeit überhaupt erreichbar war?
Joscelin wollte nicht mehr in das Viertel am Hafen. Aber sie wollte noch nicht noch mehr Zeit verlieren, indem sie das Viertel umging. Sie war verschwitzt und atemlos, drosselte ihr Tempo in zügiges Gehen und durchquerte die kleinen Gassen, die sie alle kannte und nie wieder hatte sehen wollen. Dabei hoffte sie inständig, niemandem zu begegnen, der sie kannte, daher senkte sie den Kopf und versuchte, ihr Gesicht zu verbergen.

Im Zentrum des Viertels war einiges los. Es war noch recht früh am Abend, viele Seeleute suchten nach Kneipen, Abwechslung und Spaß. Einige bummelten in Gruppen, andere suchten alleine ihr Glück.
Der erste, der sie ansprach, war bereits mächtig betrunken und sie wich ihm einfach mit einem heftigen Kopfschütteln aus und lief ein paar Schritte weiter. Sie wechselte mehrfach die Straßenseiten, wenn sie an Kneipen vorbei lief, aber schließlich passierte es doch und eine Hand packte ihren Arm.
"He, Kleine! Was treibste denn noch hier draußen?" Als sie aufblickte, sah sie in das vollbärtige Gesicht eines grinsenden Seemannes und versuchte, sich aus dem Griff zu winden.
"Ich muss nach Hause! Lass mich los!" erklärte sie und zog die Nase hoch. Der Mann betrachtete sie irritiert. Ihr verweintes Gesicht passte nicht zu dem, was er in ihr vermutete und ihre energische Ansage gefiel ihm auch nicht.
"Hat dir jemand weh getan? Ich tröste dich." versuchte er noch einmal mit breitem Grinsen. Joscelin schüttelte den Kopf und zerrte wieder ihren Arm zur Seite, doch er hielt sie mühelos fest.
"Jede hat ihren Preis! Sag mir deinen." verlangte er nun. "Ich bin ganz lieb. Du wirst staunen, was ich für dich habe." lockte er nun und begann sie enger an sich heranzuziehen. Joscelins Verzweiflung siegte und sie trat fest gegen sein Bein. Der Mann zuckte zusammen und lockerte den Griff überrascht, sodass sie sich leicht herauswinden konnte.
Vor Erleichterung aufschluchzend rannte sie kopflos davon, ohne die Schimpfkanonade zu beachten, die ihr hinterher gebrüllt wurde. Weit kam sie nicht, denn sie prallte gegen einen Körper und wollte ausweichen, doch wieder wurde sie fest gehalten. Dieses Mal jedoch mit beiden Händen an den Schultern.
"Bitte lasst mich los, ich muss zu einem Arzt!" bettelte sie verzweifelt und blickte hoch. Mit einem kleinen Aufschrei starrte sie in das bleiche Gesicht eines Mannes mit fremdartiger Kleidung. Er war genauso blass wie Anya und auch er hatte diese mystische Schönheit, die jeden sofort in seinen Bann zog.

1 Kommentar:

  1. Ui, welchen der zahlreichen Vampire in Marseille hat sie denn da jetzt getroffen?

    Kommissar Zufall wird jetzt noch ein bisschen mehr gebraucht! Wie sollte der Vampir, wer immer es ist, darauf kommen, dass die Kleine eine Freundin von Anya ist.

    Oder kommt Joscelin darauf, dass der Vampir ein Freund von Anya sein könnte? Argh ist das heute wieder ein Cliffhanger!!

    Aber ich mag das rasante Tempo alles war gut vorbereitet und jetzt geht es auf das furiose Finale zu. So muss das sein!

    LG
    Joe

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