Samstag, 8. Oktober 2011

Noctambule II: Organisierte Suche

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

Armand hatte Maurice damit beauftragt, für den alten Sanghieri eine Kutsche zu mieten, was er während des Tages mit einiger Mühe erreichen konnte. Mit etwas mehr Bezahlung als üblich wurden keine besonderen Fragen gestellt und man durfte sogar auf den Kutscher verzichten, da Maurice sich bereit erklärt hatte, die Kutsche zu führen.
Als junger Mann hatte Maurice neben seiner Ausbildung zum Butler oft noch spät abends als Kutscher gearbeitet und er traute sich diese Aufgabe durchaus zu. Dadurch hatte Armand einen vertrauenswürdigen Fahrer, was Maurice nicht ohne eigenes Interesse plante, denn er brauchte den Schutz von Armand seit der Anwesenheit der fremden Vampire mehr denn je.

Am frühen Abend hatten sich alle wieder eingefunden und beratschlagt, wie die Suche am Besten durchgeführt werden sollte. Maurice hatte einen Stadtplan von Marseille besorgt und der diente nun als Grundlage für den Schlachtplan der Sanghieri. Nachdem Sergej sich bereit erklärt hatte, seine Besuche bei Miriam einzustellen oder wenigstens auf ein Minimum zu reduzieren, konnten sie einen Stern mit acht Geraden über Marseille legen. Von dem Mittelpunkt der Stadt aus sollten die acht Routen bis in die Vororte hinaus führen. Da alle damit rechneten, nicht sofort Erfolg zu haben, würde man in der folgenden Nacht dieses Sternmuster um wenige Grade drehen und so im Uhrzeigersinn fortfahren.
Diese Idee machte durchaus viel Sinn, denn so würde niemanden so schnell ein Gesicht auffallen, das ein und das selbe Viertel durchstreunte und man konnte auf einen Schlag große Teile der Stadt durchkämmen. Wer früher als erwartet seine Route abgelaufen hatte, sollte einfach auf eigene Faust weitersuchen.
Die Routen wurden aufgeteilt und die Vampire schwärmten aus, nicht ohne vorher von Sanghieri den Befehl erhalten zu haben, auf die Jagd zu verzichten. Wer Beute brauchte, sollte sich abmelden und außerhalb der Stadt auf Reiserouten erst in den letzten Stunden der Nacht oder in den ersten Stunden jagen. Doch da zumindest die Sanghieri gestärkt erschienen waren, konnte man die nächsten drei Nächte getrost davon ausgehen, dass es keine Massenangriffe gab.

Da Armand die Stadt schon so oft durchkämmt hatte, war ihm völlig einerlei, wo er eingeteilt wurde. Und da der Zufall es so wollte, hatte er die Tour erhalten, die durch das Villengebiet führte. Sergej schaute ihn hungrig an.
"Ähm.. Armand? Könnten.. könnten wir vielleicht tauschen?" wisperte er leise, nachdem er ihn beiseite gezogen hatte. Armand grinste erheitert.
"Damit du schneller bei deiner Miriam bist, hm?" Sergej wirkte beschämt und nickte leicht.
"Dann kann ich ihr wenigstens noch erklären, warum ich die nächste Zeit weniger häufig komme." meinte er verlegen. Armand legte ihm amüsiert die Hand auf die Schulter.
"Mach das. Ich nehme deinen Weg. Ist schon in Ordnung." Seinen Freund so verliebt zu sehen, brachte ihn jedes Mal zum grinsen. Bisher hatte Sergej all die gemeinsamen Jahrhunderte stets nur kleine Techtelmechtel gepflegt.
Nun erlebte er ihn zum ersten Male wirklich verliebt und seine Prioritäten waren so verlagert, dass er in heftigen Konflikten zu seinen Hilfen bei seinem Freund stand. Aber Armand hatte Verständnis. Sobald er Anya gefunden hatte, wäre ihm auch herzlich egal, wo sich Sergej aufhalten würde.

Der alte Sanghieri ließ Maurice die Pferde anspannen und begab sich langsam und etwas wackelig zur Kutsche, um selbst eine Route abzufahren. Armand begleitete ihn zur Kutsche und half ihm hinein.
"Ich möchte ja nicht respektlos erscheinen, Signore, aber seid Ihr sicher, dass Ihr einer Begegnung mit George gewachsen sein werdet?" fragte er schließlich vorsichtig. Der alte Mann setzte sich bequem zurecht und stützte sich auf seinen Gehstock, als er sich zu Armand vorbeugte.
"Mein Junge, man darf das Alter niemals unterschätzen. Man hat zwar eine Menge Gebrechen und ist nicht mehr so beweglich. Aber dafür viel, viel mehr Erfahrung." meinte er schmunzelnd und sein faltiges Gesicht wirkte warmherzig und amüsiert. Armand kannte es allerdings auch hart und regungslos. Er deutete eine entschuldigende Verbeugung an.
"Verzeiht mir, Signore. Ihr seid mir gegenüber im Vorteil. Ihr wisst, wie ich mich fühle. Ich kann mich nur schwer in Euch hineinversetzen." rechtfertigte er sich. Sanghieri nickte gütig und lehnte sich zurück.
"Wohl wahr. Und glaub mir, ich habe diesen Vorteil schon sehr viele Jahre auf meiner Seite." meinte er. Armand trat zurück und ließ Maurice losfahren. Dann machte er sich selbst auf den Weg.

George hatte sich komplett abgeschottet. Der Schreck saß tief, nachdem er den Familienruf vernommen hatte. Anfangs war er fast instinktiv dem Ruf gefolgt, doch als ihm klar war, dass sich gerade eine Menge fremder Vampire zu versammeln schienen, wurde er wachsam. Er hatte den Hof gefunden und beobachtet. Ein triumphierendes Hochgefühl stieg in ihm auf. Zwar wusste er nicht, wer gerade im Haus war und woher die Vampire gekommen waren. Aber er sah Armand am Fenster und das hatte ihm schon genügt.
Er hatte ihn gefunden und würde ihn zum Toben bringen! Sobald Armand den Zopf sehen würde, wäre er kopflos vor Zorn und Wut. Diesen Vorteil würde George ausnutzen und da er sicher war, dass Armand seine Wut auf George über Jahre wach halten konnte, zog er sich zufrieden wieder in seine Kapelle zurück. Trotzdem blieb eine gewisse Unruhe in ihm. Armand hatte sich ruhig und sicher am Fenster bewegt.
Das konnte nur bedeuten, dass Freunde angekommen waren und das wiederum bedeutete Verstärkung. Es fragte sich nur, wozu Armand Verstärkung benötigte. Körperlich, das wusste George genau, war Armand ihm um Längen überlegen. Das konnte es also nicht sein. Auf den Gedanken, für eine Frau eine ganze Armee einzustellen, kam George gar nicht erst. Es musste andere Gründe geben und da er keine Antworten fand, kehrte er in seiner Eitelkeit zurück zum Ursprungsgedanken. Armand musste die auf ihn angesetzt haben.

Das aber bedeutete für ihn mehr als erhöhte Wachsamkeit. Natürlich war so ein Verhalten mehr als hinterhältig, wenn nicht sogar lächerlich. Dass Armand sich Hilfe holen musste, um ihn zu schnappen, schmeichelte ihm fast, wäre da nicht der Ärger über die ungerechte Mehrheit gegen ihn. Dabei hatte er nicht einmal etwas besonders Schlimmes getan! Im Gegenteil, er hatte Anya noch Unterkunft und Verpflegung angeboten, was ihm eigentlich gut geschrieben werden musste.
Aber daran sah man mal wieder, dass Selbstlosigkeit auch in der Vampirwelt überhaupt nichts galt. George war wütend und empört. Er hätte mehr Geduld aufbringen und seine erste Idee mit Batiste doch noch umsetzen sollen. Dann stünde ihm jetzt wenigstens eine Horde getreuer Gefolgsleute zur Seite. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als Marseille zu verlassen, auch wenn es nach Flucht aussehen würde. Das konnte natürlich nicht geschehen, ohne Armand noch einen heftigen Schlag zu versetzen. Seine Miene hellte sich bei dem Gedanken auf, Armand noch ein wenig zu quälen.
Dazu musste George nicht einmal ein Verbrechen begehen. Er musste sich nur eine zierliche Frau suchen, mit ihr ein wenig vergnügen, dann seinen Hunger stillen und schließlich einen Finger oder Zeh abschneiden. Armand würde mit Sicherheit nicht erkennen, ob es ein Teil von seiner Anya war oder nicht. Selbst die Ungewissheit würde Armand quälen. George begann zu grinsen, als er seine wenigen Habseligkeiten zusammenpackte und die Kapelle verließ. Er hatte noch eine viel bessere Idee. Eine Zunge würde Armand noch viel mehr stören.

1 Kommentar:

  1. Die Sanghieris sind wirklich ein Segen für Armand. Ich hoffe nur, dass die Loyalität auch noch anhält, wenn Anya gefunden und George tot ist.

    Der Alte verhält sich übrigens hervorragend. Der Plan zur Durchsuchung der Stadt ist militärisch einwandfrei :) Auch wenn man bei Menschen normalerweise immer Pärchen losschickt. Aber da mag es bei Vampiren andere Maßstäbe geben :)

    Und George... Ich denke, ihm wird seine Art zum Verhängnis. Er hat sich bei Armand schon jetzt verschätzt. Armand rennt nicht Kopflos durch die Gegend und versucht blind vor Zorn ihn zu finden. Weder mit, noch ohne die "Warnung" an der Türe. Und auch ein Finger oder eine Zunge würde da nicht viel dran ändern. Im Gegenteil, ich vermute sogar, ein erfahrener Vampir wäre in der Lage eine menschliche von einer Vampirzunge zu unterscheiden. Mindstens am Geruch. Oder nicht?

    Und die Tatsache, dass er sich dafür aus seinem Versteckt wagt könnte ihm so oder so zum Verhängnis werden. Er verhält sich einmal mehr geradezu blind vor Rage - Fast ein Wunder, dass er so lange überleben konnte.

    Die Liste seiner Feinde muss lang sein.

    Liebe Grüße
    Joe

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