Mittwoch, 5. Oktober 2011

Noctambule II: Brennende Sonne

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Sie sah den heran fliegenden Schatten nicht und riss erst die Augen auf, als sie einen Aufprall und das dumpfe Landen eines Körpers hörte. Zuerst konnte sie nichts erkennen außer ineinander verschlungene Gliedmaßen. Der lange Mantel von Sumpfmaul wickelte sich um ihn und einen zweiten Körper, als beide über den Boden rollten. Dann erkannte sie die blonden Haare in dem Augenblick, als Anya aufsprang und erneut angriff.

Sie flog fast waagerecht auf den Mann zu, warf ihn erneut um und stieß dabei so ein wütendes Fauchen aus, dass selbst ein Löwe zusammengezuckt wäre. Mit neuer Energie begann Joscelin nun auf den Mann einzuschlagen, der sie immer noch festhielt. Der hatte so verblüfft zu seinem Freund gesehen, dass er das Mädchen beinahe vergessen hatte. So traf ihre kleine Faust sein Kinn schmerzhaft aber ohne nennenswerte Folgen.
Anya sah zu spät dass der Mann beim Aufstehen sein Messer gezogen hatte. Es blinkte im Sonnenlicht, als sie auf ihn zuschoss. Abbremsen klappte nicht mehr. Sie prallte gegen ihn, riss ihn zu Boden und spürte gleichzeitig den glühenden Schmerz, der sich in ihrem Bauch ausbreitete. Sie schrie gellend vor Schmerz. Das Messer war bis zum Anschlag in ihre Seite eingedrungen und wurde in dem Moment wieder herausgezogen, als sie von dem Mann herunter rollte. Sie wollte aufstehen, aber der Schmerz verlangsamte ihre Bewegungen. Der Mann warf sich auf sie und packte ihr Gesicht, während seine Messerhand ausholte, um ihre Kehle zu durchschneiden.
"Anya!" Der Schrei riss Anya aus ihrem Schmerz heraus. Joscelin schwebte noch immer in Gefahr und es half alles nichts. Mit unglaublicher Kraftanstrengung riss sie die Hand des Mannes von ihrem Gesicht, blockte seine herunterrasende Hand ab und biss sich in seiner Kehle fest. Augenblicklich erschlaffte der Körper auf ihr und gab gurgelnde, röchelnde Geräusche von sich. Anya zögerte nicht weiter. Stöhnend und halb blind vor Schmerz drückte sie den zuckenden Körper von sich weg und rappelte sich hoch.

Joscelin hatte nach ihrem verzweifelten Abwehrversuch einen Hagel Ohrfeigen und Schläge einstecken müssen. Sie war auf die Seite gerollt und hatte sich zusammengekrümmt, die Arme schützend um den Kopf geschlungen. Sie hörte nur das wütende Fauchen, einen erneuten Aufprall und den gellenden Schrei eines Mannes. Der Schrei brach abrupt ab, nachdem ein hässliches Knacken zu hören war und sofort danach setzte ein unendlich schmerzvolles Stöhnen ein, das eindeutig von Anya kam.
Entsetzt fuhr Joscelin hoch und kroch auf allen Vieren zu Anya, die sich vor Schmerzen krümmte und verzweifelt versuchte, ihr Gesicht unter den Armen zu verstecken. Hilflos und starr vor Angst rüttelte das Mädchen an ihrer Schulter.
"Anya! Anya, was ist denn? Steh auf! Bitte!" Anya krümmte sich weiter. Voller Grauen erkannte Joscelin nun, wie die Haut an ihren Händen bereits schreckliche Blasen aufwarf und blutige Risse bildete.
"Wirf irgendwas über mich!! Schnell!" stöhnte Anya verzweifelt und wälzte sich weiter. Joscelin war so gelähmt, dass sie kaum klar denken konnte. Alles, was sie in ihrer Reichweite sah, war nicht zu gebrauchen. Der Wald war hier in Ufernähe so durchlässig, dass sich nun in der Mittagszeit kaum Schatten bildete. Joscelin sah zum Boot hinunter, verwarf den Gedanken aber wieder. Bis sie hingerannt und wieder zurückgekehrt war, wäre es für Anya vielleicht schon zu spät.
"BITTE!! Hilf mir!" schrie Anya verzweifelt und versuchte mit blutigen Händen Waldboden über sich zu werfen. Joscelin schluchzte trocken. Hastig sprang sie auf und zog ihren oberen Rock aus. Als sie ihn über Anyas Gesicht und Arme warf, hörte sie deren erleichtertes Stöhnen nur noch dumpf. Zitternd fiel sie neben Anya auf die Knie.
"Was soll ich denn tun? Was kann ich machen?" Ihre Frage war flehend und sie zitterte am ganzen Körper.
"Verband! Vom Boot!" stöhnte Anya dumpf unter dem Stoff hervor und drehte sich dabei seitlich. Joscelin sprang sofort auf und rannte so schnell sie konnte. Fast wäre sie mit ihren Schlamm verschmierten Füßen auf dem Holzsteg noch ausgerutscht, aber sie fing sich wieder und hetzte weinend in den Wohnbereich. Ohne weiter nachzudenken griff sie nach dem gerade eben geflickten Nachthemd und rannte wieder zurück, ohne auf die Leichen zu achten, die ihr im Weg lagen. Sie sprang einfach über die Körper hinweg.
Anya hatte sich inzwischen mühsam etwas tiefer in den Schatten gerobbt. Sie lag verkrümmt auf der Seite und atmete hechelnd. Joscelin fiel neben ihr auf die Knie und berührte vorsichtig Anyas Schulter.
"Wo?" fragte sie nur. Ihr Schluchzen war unmöglich zu unterdrücken und der Schock ließ ihre Zähne aufeinander klappern. Anya hob tastend eine Hand. Joscelin verzog das Gesicht. Die Hand war dunkelrot von Blut und es war offensichtlich, dass sie mit dieser Hand die Wunde abzudrücken versucht hatte. Sie riss einen Streifen von dem Nachhemd ab und drückte ihn in Anyas Hand. Dann zog sie helfend das blutüberströmte Hemd hoch und zuckte sofort zurück, als Anya gellend aufschrie.
In ihrer Panik hatte Joscelin Anyas Bauch dem Sonnenlicht ausgesetzt. Als sie durch den Schreck erschrocken zurückzuckte, beruhigte sich Anya wieder und presste den Stoff auf die Wunde.
"Noch.. mehr." keuchte sie stöhnend. Joscelin nickte, obwohl Anya sie nicht sehen konnte und riss mit verzweifelter Kraft mehrere Streifen ab. Sie hatte nicht nur die weiße Haut ihrer Freundin gesehen, sondern auch die Verletzung. Die Wundränder klafften auseinander, weil der Mann das Messer verdreht wieder herausgezerrt hatte. Das lange Messer hatte den zierlichen Körper durchstochen. Anyas Rücken war blutüberströmt, ohne dass sie es zu spüren schien.
Es schüttelte sie heftig bei dem Anblick und ihre Hände zitterten so sehr, dass sie kaum die Stoffbahnen richtig falten konnte.
"Ich mach das. Ich mach schon!" wisperte sie schluchzend und Anyas Hand sackte kraftlos zurück. Das Mädchen glaubte, unter dem Stoff ein Nicken gesehen zu haben und war froh, etwas tun zu können. Sie krabbelte so über Anya, dass ihr eigener Schatten auf Anyas Haut fiel, als sie das Hemd erneut hoch zog. Das erste Stoffbündel war bereits blutdurchtränkt. Joscelin entfernte es unter Anyas zitternder Hand und presste ein sauberes Tuch darauf. Ebenso verfuhr sie mit der hinteren Wunde und legte dann einen Verband an, der so fest wie nur irgend möglich sitzen sollte.
Zwar versuchte Anya zu helfen, indem sie ihren Körper etwas anhob, aber sie stöhnte schrecklich bei der ganzen Prozedur. Erst als sie endlich fertig waren, sank sie erschöpft zurück und hechelte erneut. Joscelin lief zum Ufer und wusch sich hastig die Hände. Ihr war klar, dass Anya nicht dort liegen bleiben durfte. Aber sie wusste ebenso genau, dass sie nicht in der Lage war, Anya einfach zum Boot zu schleppen. Sie brauchte Hilfe. Aber wie? Und wem konnte sie vertrauen? Die neue Hilflosigkeit trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Sie fühlte sich schuldig. Und sie musste das um jeden Preis wieder gut machen.

1 Kommentar:

  1. Wie hat Anya das denn mitbekommen? Verfügt sie doch über Telepathische Fähigkeiten, aber eben nicht mit Vampiren?

    Und nun wurde ihr ein Mensch zum Verhängnis. Ein Messerstich in den Bauch einer Schwangeren. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was da nun passiert ist. Anya wird es sicherlich überleben. Aber ob es das Kind schafft.

    Nun muss jedenfalls die kleine Joscelin mal ganz stark sein.

    Liebe Grüße
    Joe

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