Sonntag, 23. Oktober 2011

Noctambule II: Bitte nicht sterben!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Joscelin war unruhig. Bei ihrer Rückkehr hatte sie Anya völlig verschwitzt vorgefunden. Ihr Fieber war heftig angestiegen und die kalte Tasse Weidenrindentee stand unangerührt neben dem Bett.
Besorgt hatte sie Anya den Tee eingeflößt und den Verband gewechselt. Dabei hatte sie gesehen, dass die Wunde sich entzündet haben musste. Anya war zwar ansprechbar, aber müde und schlapp und sie konnte sich selbst keinen Reim darauf machen, warum ihre Selbstheilung plötzlich gestoppt hatte.


Sogar die Verbrennungen im Gesicht waren noch immer zu erkennen, wenn auch abgeschwächt und wesentlich besser als noch am Tag zuvor. Aber auch hier heilte nichts mehr weiter. Anya selbst dachte bei sich, dass sie einfach jagen müsste, um sich wieder zu stärken. Aber sie konnte nicht aufstehen und noch immer zog es ab und zu schmerzlich im Unterleib. Joscelin war es nicht zuzumuten, jemanden direkt ans Boot zu bringen und zuzusehen, wie sie ihn tötete.
In ihrem Delirium dachte sie fast ausschließlich an Armand. Was sollte das ohne ihn noch für ein Leben sein? Selbst das Kind in ihrem Leib schien sich dagegen zu wehren, geboren zu werden. Wenn sie nun einfach im Fieber starb, wäre niemand außer Joscelin darüber traurig. Sie würde kaum eine Lücke hinterlassen. Der Gedanke erleichterte ihre Entscheidung. Es wäre besser für alle Beteiligten und Armand hatte sich von ihr sowieso abgewandt. Er würde sie garantiert nicht vermissen.
Mit Anyas Entschluss stoppte die Selbstheilung völlig. Im Laufe des Tages stieg das Fieber weiter an und Anya war nicht mehr ansprechbar. Joscelin begann zu verzweifeln. Bei ihrer kleinen Schwester hatte sie des Öfteren Fieberattacken erlebt und wusste daher, dass das Fieber vormittags und nachmittags anzusteigen pflegte. Aber zwischen diesen Spitzen sank es normalerweise auch wieder ab. Hier schienen weder kalte Beinwickel noch der Tee zu wirken und sie wusste nicht mehr weiter.
Zu ihrem Ärger hatte sie vergessen, Essig zu kaufen. Den hätte sie nun bitter benötigt, denn ihre Mutter hatte immer Essigwickel gemacht und die hatten ihrer kleinen Schwester stets geholfen. Wieder und wieder durchsuchte sie alle Schränke und Nischen des Bootes auf der Suche nach irgendetwas, was helfen könnte. Als der Abend anbrach, ließ sich Anya nicht einmal mehr den Tee einflößen, den sie neu gekocht hatte. Joscelin war überfordert. Sie saß neben Anya, starrte in das bleiche, schöne Gesicht und kaute heftig auf den Lippen.

Wieder begann Anya unruhig zu werden. Sie drehte den Kopf leicht hin und her, kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Eilig zog Joscelin die Schüssel mit dem frischen Wasser zu sich und begann Anya erneut abzuwaschen und zu kühlen. Das heftige Zittern, das Anya nun befiel, löste beinahe Panik in dem Mädchen aus. Sie ahnte, dass dieser Schüttelfrost kein gutes Anzeichen war. Offenbar wehrte sich der Körper mit allen Mitteln gegen die gefühlte Kälte und dennoch glühte Anyas Gesicht vor Hitze.
Als der Anfall aufhörte, war es völlig dunkel geworden. Joscelin war erschöpft und ihre Glieder taten ihr weh. Sie selbst hatte nur wenig gegessen und kaum getrunken, weil sie kaum eine Minute von Anyas Bett gewichen war. Aber nun musste sie, ob sie wollte oder nicht. Sie brauchte Hilfe, am Besten von einem Fachkundigen. Sie wusste nicht, wie sie einen Arzt bezahlen sollte, aber das würde sie bestimmt später noch klären können. Wichtig war nur, dass sie alleine nicht mehr weiter wusste.
Vielleicht hatte sie ja sogar schon zu lange damit gewartet? Am Ende war sie wegen ihres Zögerns schuld daran, dass es Anya immer schlechter ging? Zu ihrer Verzweiflung gesellten sich nun immer stärker die Selbstvorwürfe und da sie es nicht mehr ertragen konnte, küsste sie Anya auf die Stirn und stand auf.
"Ich hole Hilfe. Ich bin so schnell es geht zurück. Nicht sterben, Anya.. bitte stirb nicht!" flüsterte sie mit erstickter Stimme, strich liebevoll das nasse Haar aus der Stirn und verließ hastig das Zimmer.

1 Kommentar:

  1. Ach arme Anya. Du glaubst immer noch Armand hätte sich abgewandt? Magst du nicht mal in Betracht ziehen, dass es ein albernes Missverständnis war und er sich geirrt hat.

    Und Joscelin machst du so viel Kummer. Sie die dich so gern hat und sich um dich kümmert. Alles tut sie für dich.

    Sie würde sich sicherlich auch beissen lassen. Aber ob Anya das will. In all der Krankheit scheint völlig unterzugehen, dass sie ja vor Hunger fast vergehen muss.

    Und nun holt die Kleine einen Arzt? Wird sie es schaffen jemand auf das Boot zu holen? Und kann Anya dann ihrem Instinkt widerstehen? Der Selbsterhaltungstrieb muss doch auch bei Vampiren ausgeprägt sein.

    Am besten käme sie natürlich mit einer Nachricht von Armand zurück, oder gar mit ihm selbst. Aber das wird wohl nicht der Fall sein.

    Halt durch Anya...

    Liebe Grüße
    Joe

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