Samstag, 17. September 2011

Noctambule II: Zwei Frauen, ein Schicksal

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Joscelins Bewegung in ihrem Arm weckte Anya sofort. Beide waren im Laufe der Nacht in eine liegende, aneinanderkuschelnde Position gerutscht und Anya hatte die Decke fürsorglich über das Mädchen gezogen.
Sie selbst hätte gerne noch weiter geschlafen. Zwar hatte sie sich in der Nacht noch einmal heimlich davongestohlen und ihren Hunger kaltblütig und schnell gestillt, doch jetzt fühlte sie sich schon wieder matt und ausgelaugt und sofort mit dem Aufwachen kam auch der Hunger zurück. Und damit auch der Trieb, über das Mädchen in ihrem Arm herzufallen. Fast schmerzlich stöhnend drehte sie den Kopf zur Seite, um den verlockenden Duft der Kleinen nicht zu stark wahrnehmen zu müssen.


Beunruhigt setzte sich Joscelin auf und betrachtete Anya prüfend.
"Hast du Schmerzen? Du bist total bleich!" Es war das erste Mal, dass Anya sie reden hörte. Sie hatte noch eine kindliche Stimme, aber die Augen des Mädchens wirkten bereits viel älter und erfahrener. Anya wollte nicht darüber nachdenken, was sie schon alles hatte erleben müssen.
"Ja. Ich spüre jede Stelle an meinem Körper." log Anya und schob sich etwas höher. Sie lächelte Joscelin müde an und hob die Hand, um ihre Wange zu streicheln. Dann warf sie einen kurzen Blick auf die Lücken zwischen der Holzverschalung ihres Versteckes. Das Tageslicht blendete sie, traf sie aber nicht direkt auf die Haut. Sie hatte keine Ahnung wie spät es war. Vorsichtig rückte sie ein wenig von der Holzwand ab und wandte sich wieder dem Mädchen zu.
"Wie geht es dir?" fragte sie besorgt und betrachtete die verschorften Bisswunden an dem schlanken Hals. Joscelin schien keine Schmerzen dort zu empfinden, denn sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. Wahrscheinlich hatte sich schon lange niemand mehr nach ihrem Befinden erkundigt.
"Ich verstehe nicht, was heute Nacht passiert ist. Wer war dieser Typ?" fragte sie und die Erinnerung ließ ihre Pupillen weiten. Anya seufzte und betrachtete das Mädchen skeptisch. Was konnte sie ihr erzählen und was nicht? So einfach würde die Kleine nicht zu belügen sein.
"Er heißt George und ist ein mieser, skrupelloser, hinterhältiger Verbrecher." Joscelins Hand fuhr zu ihrem Hals und sie keuchte bei der Berührung auf. Ihre Erinnerung hatte den Biss erreicht und das Betasten der Wunden bestätigte es noch einmal.
"Der hat mich gebissen!?" Ihre Stimme überschlug sich fast. Hastig griff Anya nach den beiden Händen des Mädchens und versuchte, sie damit zu beruhigen.
"Ja. Das hat er getan." bestätigte sie ruhig. Joscelin atmete schwer, ließ ihre Hände aber in Anyas ruhen. Ihre Finger griffen sogar ein wenig fester um Anyas Hände, als würde ihr diese Berührung mehr Beruhigung geben als sie selbst erwartet hatte.
"Die Zähne! Er hat ganz schreckliche Zähne." hauchte sie nun und riss ihre Augen noch weiter auf. Angst verzerrte ihr Gesicht wieder und nun wollte sie ihre Hände zurückreißen. Doch Anya hielt sie fest.
"Du hast auch solche Dinger! Ich hab es gesehen!" quiekste sie und rückte von Anya fort. Anya nickte und streichelte mit dem Daumen die Handrücken des Mädchens beruhigend. Dennoch hielt sie die Hände eisern fest, um ein Weglaufen zu verhindern.
"Das macht mich aber nicht zu dem, was er ist! Auch unter uns gibt es Gut und Böse, Joscelin!" sie redete eindringlich auf das Mädchen ein, doch war ihr selber klar, wie verrückt ihre Worte klingen mussten. Auch sie tötete Menschen und auch sie war eine Mörderin in den Augen der Menschen. Joscelin schien ähnliche Gedanken zu hegen.
"Und woher soll ich wissen, dass du mir nichts tust?" Sie hatte es aufgegeben, ihre Hände zu befreien, aber begann wieder zu zittern. Anya seufzte.
"Ich hätte dir die ganze Nacht über etwas tun können, Joscelin! Aber ich habe dich da herausgeholt! Wir haben nebeneinander geschlafen! Wieso sollte ich dir jetzt etwas tun?" Noch immer sprach sie eindringlich leise und kämpfte dabei gegen sich selbst, denn ihr Trieb wurde immer stärker.
Joscelin zuckte mit den Schultern. Die Logik von Anyas Worten konnte sie nicht widerlegen, aber ihr Misstrauen blieb. Zitternd starrte sie die schöne Frau vor sich an und versuchte Argumente für ihre Angst zu finden.
"Wieso warst du gefesselt und nackt?" fiepste sie nun leise. Anya schmunzelte traurig.
"Weil er mit mir das gleiche getan hat, was er mit dir tun wollte." antwortete sie leise. Joscelins Augen weiteten sich ein weiteres Mal. Sie verstand sofort und mit einem Schlag ließ ihr Misstrauen nach. Zwei Frauen mit dem gleichen Schicksal konnten keine Feindinnen sein. Sie senkte die Augen und betrachtete die schmalen Handgelenke Anyas.
Sie waren noch nicht komplett verheilt, aber für einen Menschen nahezu unmöglich weit von der gestrigen Verletzung entfernt. Joscelin keuchte auf und hob den Blick.

1 Kommentar:

  1. Jetzt hat Anya auch ihre kleine Freundin. :)

    Ich bin ja gespannt, was aus der noch wird.

    Anya hat also getrunken. Der Heisshunger ist weg. Das ist gut für Joscelin. Und auch gut für Anya und ihr Baby.

    Was aber nun? Jetzt ist Tag und du kannst nicht durch die Gegend marschieren. Aber in der nächsten Nacht. Und dann? Wohin kleine Anya....

    Wenn du wüsstest, dass Armand nach dir sucht.. :(

    Liebe Grüße
    Joe

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