Mittwoch, 21. September 2011

Noctambule II: Khag-viar

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Sergej hatte sich in Schale geworfen. Mit Hilfe von Maurice und dessen guten Kontakten zu Schneidern des Marseiller Adels war neue Kleidung eingetroffen, die sich sehen lassen konnte. Die elegante Kniehose aus dem begehrten teuren schwarzen Samt und die passende kurze Jacke mit den langen Schößen ließ Sergej größer wirken, als er war.
Auch betonte das Schwarz seine Blässe, was auch nicht durch das weiße, mit kunstvollen Rüschen verzierte Hemd gemindert wurde. Maurice half beim kunstvollen Binden des Halstuches und zauberte schließlich sogar noch ein schwarzes Samtband hervor, das Sergejs lange Locken zu einem Pferdeschwanz bändigte.

Zufrieden machte er sich auf den Weg zu einer Adresse, zu der eine Kutsche bestellt wurde, denn Sergej konnte auf keinen Fall zu Fuß bei Madame Dubrés erscheinen.
Louis begrüßte Sergej höflich zurückhaltend und führte ihn direkt in den Salon. Aufgeregt war Sergej nicht, im Gegenteil, er freute sich auf diesen Besuch und als er Miriam sah, schlug sein Herz sofort höher. Sie erhielt ein strahlendes Lächeln voller Anerkennung, denn auch sie hatte sich besonders hübsch gemacht und trug schon eines der neuen Kleider, das die Schneiderin in Nachtschichten mit allen Helferinnen, die sie besorgen konnte, fertig gestellt hatte.

Doch wie der Anstand es verlangte, wandte sich Sergej zuerst der Gastgeberin zu und machte einen tiefen Diener über ihrer Hand. Und wie es die Form verlangte, deutete er den gehauchten Kuss auf dem Handrücken nur an, statt plump die Lippen darauf zu drücken.
Madame zeigte sich auf Anhieb erfreut und amüsiert über die verblüffende Eleganz des russischen Besuches.
"Madame, ich bin entzückt!" erklärte Sergej, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte und warf erneut einen lächelnden Seitenblick zu Miriam, die beide Hände zusammenpresste und rote Wangen bekommen hatte.
"Schon gut, junger Mann, begrüßt erst einmal die Dame, deren Ruf Ihr so prompt gefolgt seid." befahl Madame amüsiert und beobachtete die Begrüßung. Sie war tatsächlich mehr als verblüfft über die stille Botschaft der Körpersprache. Miriams scheuverliebtes Verhalten kannte sie bereits zur Genüge von sich selbst in diesem Alter. Überrascht aber war sie von dem Benehmen des jungen Mannes vor ihr.
Er hatte sich mit langen Schritten Miriam genähert, doch kurz vor ihr schon deutlich verlangsamt, als müsse er genießen, sie mit jedem Schritt näher und besser sehen zu können. Sie streckte ihm ihre Hand mit verlegen gesenktem Blick entgegen, doch Sergej nahm diese kleine Hand nicht nur.
Fast behutsam schob er seine Hand unter die zarten Finger und als könne er sie zerbrechen, hob er sie vorsichtig etwas an, während er sich darüber beugte. Und mit einem frechen Schmunzeln berührten seine Lippen kurz ihren Handrücken richtig, doch war es keine Unverschämtheit sondern eher der freche Diebstahl einer ersehnten Berührung. Als er sich aufrichtete, versank sie in seinen Anblick wie hypnotisiert.
"Mademoiselle, ich habe nie etwas Vollkommeneres gesehen." raunte er so leise, dass Amanda es kaum verstehen konnte. Bevor Miriam antworten konnte, wandte er sich aber wieder der Gastgeberin zu.
"Madame, natürlich habe ich mir ein Mitbringsel überlegt, doch wären schnöde Blumen, Parfum oder Pralinen nur ein unverschämter faux pas." erklärte er mit einem Griff in seine Jackentasche.
"Ist das so? Dann würde sich ja ganz Marseille nicht zu benehmen wissen!" lachte Madame mit wachsender Neugier. Sergej schmunzelte.
"Das kann ich nicht beurteilen, Madame. Doch habe ich etwas ganz Besonderes für Euch." In seiner flachen Hand lag ein enttäuschend kleiner Behälter aus Glas mit einem silbernen Deckel. Beides war kunstvoll mit verschnörkelten, asiatisch anmutenden Motiven verziert und auch bei genauem Hinsehen konnten weder Miriam noch Madame erkennen, was es mit der schwarzen Füllung auf sich hatte. Beide näherten sich interessiert und da Sergej es wie einen kostbaren Diamant in der Hand hielt, hob Madame es entsprechend behutsam hoch.
"Verratet mir, was ich in der Hand halte, ich bitte Euch!" verlangte sie neugierig, wagte aber nicht, den Verschluss zu öffnen. Sergejs Schmunzeln vertiefte sich und bildete ein freches Grübchen über den Mundwinkeln.
"Das ist in Europa völlig unbekannt, Madame, aber es ist das köstlichste, was einen Gaumen verwöhnen kann. Es gibt nichts besseres auf der Welt!" verkündete er und nahm es ihr aus der Hand, um es zu öffnen.
"Ich lernte es bei einer meiner Reisen bei einem persischen Volk kennen. Sie nennen es khag-viar. Ungeübte Zungen in meiner Heimat sprechen von Kaviar. Es bedeutet "kleines schwarzes Fisch-Ei" und das ist es auch tatsächlich. Probiert es mit einem kleinen Löffel, Madame. Es ist so selten und so begehrt, dass manche Kaiser und Könige ein Vermögen dafür bezahlen." Während er sprach, zauberte er einen winzigen Löffel aus der Jackentasche, säuberte ihn mit einem frischen Taschentuch und reichte ihn ihr wie einer Königin.
Madame war mehr als nur neugierig. Sie hatte bisher geglaubt, alles zu kennen und nun kam dieser Bengel und zeigte ihr in aller Selbstverständlichkeit etwas völlig Neues. Mit spitzen Lippen nippte sie an den kleinen schwarz glänzenden Kügelchen und noch während sie kaute, vergrößerten sich ihre Pupillen vor Wonne.
"Das ist köstlich!" rief sie aus und nahm den Rest vom Löffel.
"Das ist unglaublich köstlich! Miriam, versuch es!" Sergej wandte sich zu Miriam und auch sie versuchte die Spezialität.
"Oh…!" entfuhr es ihr schließlich begeistert. Sergej nickte und stellte das Glas auf einem Tischchen ab.
"Ich bin davon überzeugt, dass Ihr damit die Gesellschaft erneut verblüffen könnt, Madame. Und niemand wird es so schnell beschaffen können." Er nahm endlich Platz und schlug bequem die Beine übereinander, nachdem die Damen sich hingesetzt hatten.
"Nun, junger Mann, nachdem Ihr mit diesem Geschenk allen den Rang abgelaufen seid, berichtet mir mehr von Euch! Ihr scheint ein sehr weitgereister Mann zu sein." Madame war äußerst interessiert.
Sie lauschte Sergejs amüsanten Reiseberichten und beobachtete dabei immer wieder die kleinen Blicke, die zwischen dem verliebten Paar hin und her flogen. Ein leiser Neid befiel sie, als sie sich eingestehen musste, selbst in ihren schönsten Zeiten niemals einem Mann mit solch faszinierender Ausstrahlung begegnet zu sein. Kurz verglich sie ihn mit Armand, von dem sie immer noch rätselte, woher sie ihn kannte, und ob es wirklich so unglaubliche Familienähnlichkeiten geben konnte, dass sie ihn mit einem anderen gleichnamigen Mann aus ihrer eigenen Jugend verwechselte.
Aber nein, dieser Sergej hatte zwar auch etwas ganz Besonderes und wirkte ähnlich blass, war aber völlig anders als dieser Armand.
Sie mahnte sich selbst, sich nicht von teuren Mitbringseln und Charme einlullen zu lassen, hatte sie doch die Verantwortung für das junge, unerfahrene Mädchen übernommen. Doch konnte sie einfach nicht anders, als den Burschen sympathisch zu finden und sich für Miriam zu freuen. Sie beschloss, entspannt weiterhin zu beobachten und dem Onkel einen wohlmeinenden Brief zu schreiben.
Es war schon spät, als sich Sergej schließlich verabschiedete und mit tiefstem Bedauern eine gemeinsame Ausfahrt am nächsten Nachmittag absagen musste, da er schon wieder auf Reisen sei. Er versicherte jedoch, sich so schnell als möglich wieder zu melden und verließ Miriam mit einem langen, tiefen Blick.

1 Kommentar:

  1. Ich war mir vorher schon fast sicher - aber das Kapitel heute hat es bestätigt - Sergej vermag es Madame zu beeindrucken. Nicht nur mit dem ungewöhnlichen Geschenk, sondern auch mit seiner Art.

    Ich stelle es mir amüsant vor, wenn man immer im Hinterkopf behalten muss, dass man nicht verraten darf, wie alt man tatsächlich ist.

    In "Zurück in die Zukunft III" gibt es eine solche Szene. Dort erzählt Doc Brown, er habe Jule Vernes als Kind gelesen. Dabei war das erwähnte Buch aber erst vor wenigen Jahren erschienen.

    Wie muss es einem Vampir gehen, der nicht nur durch die Zeit gereist ist, sondern sie gar in jeder ihrer Epochen wahrgenommen hat. Was, wenn er bei einem lockeren Schwätzchen und einem halben Glas Wein zuviel eine Anektdote erzählt, welche durch ein simples Detail vielleicht in eine viel zu frühen Zeit einzuordnen ist?

    Da muss man sich schon schwer konzentrieren.

    Und Armand und Dubres waren ja im ersten Band schon mal Thema. Ob sie noch darauf kommt? Wenn ja, denke ich, sie würde es vermutlich mit dem Leben bezahlen. Nicht, dass die kleine Miriam sich noch verplappert...


    Achja, Armand? ... Viel Glück auf der Jagd!!!

    Liebe Grüße
    Joe

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