Freitag, 30. September 2011

Eine Lüge

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

"Heute gar nicht abgeholt worden?", frotzelte der Wachmann an der Schranke als Mary aus dem Bus gestiegen war und an der kleinen Pforte stand. So oft, wie sie hier ein- und ausging, kannten die meisten Wachleute sie. Nadja hielt den kleinen Transponderchip an die Lesefläche. Es summte und die Tür öffnete sich. "Ich mach mir Sorgen um meine Freundin, sie war heute nicht in der Schule.", gab Mary ehrlich zurück. Nicht zuletzt in der Hoffnung der Wachmann könne vielleicht etwas wissen. Doch sie wurde enttäuscht: "Und da bringst du ihr jetzt die Hausaufgaben? Näää, wat bist du fies.", lachte er nochmal.

Mary winkte ihm noch einmal leicht genervt und schritt nun durch die abgeschiedene Straße. Sie war den Weg noch nie zu Fuß gegangen. Die Fußgängernavigation auf ihrem Handy verriet, dass es noch über ein Kilometer war, bis zu Joes Haus. Nach einigen hundert Metern fiel ihr ein, dass sie ja von der Pforte hätte anrufen lassen können. Vielleicht wäre jemand sie abholen gekommen. Die Wachleute hatten sicherlich die Nummer von Geoffrey. Sie blickte nach vorn und zurück und entschied sich dagegen. Jetzt war es fast soweit zurück wie bis zum Haus. Und wenn sie niemand abholte, dann würde sie es auch noch doppelt laufen müssen. Etwas ächzend rückte sie den Rucksack zurecht und schritt weiter aus.


Jurina betrachtete verschreckt die Pflaster auf Nadjas Unterarm und ließ sich erklären, dass unter jedem der beiden weißen Flicken vier Stiche einer kleinen Wunde waren. "Das tut mir so leid.", wiederholte sie immer wieder. Nadja ging es inzwischen schon fast auf die Nerven. "Ich zieh mir gleich nen langen Pulli an, damit du die Pflaster nicht mehr siehst und aufhörst dich zu entschuldigen.", drohte sie leicht genervt. Jurina schlug den Blick nieder und griff verlegen nach dem Sandwich auf ihrem Teller. Maricruz hatte einen kleinen Nachmittagssnack mit einer Auswahl belegter Brote und etwas Süßgebäck vorbereitet. Und genau bei diesem saßen die beiden Mädchen jetzt mit Joe.

"Ich will versuchen das Auto zu bezahlen.", meinte Jurina dann nach einer Pause. Joe prustete fast seinen Kaffee über den Tisch. "Was?", fragte er perplex. Jurina schluckte verunsichert. Sie hatte sich vor dem Gespräch mit Felix immer noch gedrückt. Somit lehnte sie sich ziemlich weit aus dem Fenster, wenn sie hier eine Ausgabe von mehreren zehntausend Dollar in Aussicht stellte. Aber sie war bereit für die nächsten Jahre auf jede Urlaubsreise zu verzichten um das Geld bei Thorsten quasi abzustottern. Einmal mehr wurde ihr gerade klar, dass sie sich zwar über Geld keine Sorgen machen musste aber auch über keinerlei eigene finanziellen Mittel verfügte.

"Naja, ich habe es kaputt gemacht. Also will ich wenigstens versuchen, ob ich das bezahlt bekomme.", meinte sie etwas kläglich, als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Nadja blickte verunsichert zwischen Joe und Jurina hin und her. Joe klappte den Mund auf um etwas zu sagen, doch er schluckte den ersten Satz wieder herunter. Er wusste um die finanziellen Verhältnisse der Mädchen auf der Insel. Um ein Haar hätte er Jurina gesagt, dass das Geld dafür doch nur aus Thorstens Vermögen gekommen wäre. Aber es erschien ihm gemein. Nach einem Augenblick hatte er jedoch die Antwort gefunden. "Jurina, das ist sehr nett von dir, aber es ist auch vollkommen unnötig. Der Wagen ist selbstverständlich versichert gewesen. Die Versicherung wird den Schaden begleichen. Mach dir bitte darum keine Sorgen."

Das war zwar glattweg gelogen. Der Wagen war keineswegs gegen einen solchen Totalschaden versichert. Schon gar nicht, wenn er von einer Teenagerin ohne Führerschein verursacht worden war. Aber das brauchten weder Nadja noch Jurina zu wissen. Sicherlich war es, was das Geld anging, ärgerlich, jetzt ein neues Auto anschaffen zu müssen. Aber irgendwie freute er sich auch darauf mal wieder durch die Autohäuser zu tingeln und hatte in Gedanken bereits einen freien Tag dafür reserviert, mit Nadja ein neues sportliches Geschoss auszusuchen. Jurina starrte ihn an. "Wirklich?", vergewisserte sie sich. Joe nickte. "Was hast du denn gedacht?", gab er sich souverän. "Oh.. ok.", meinte Jurina kleinlaut.

Geoffrey kam herein. "Miss Nadja, Master Joe, Miss Mary steht vor dem Tor.", verkündete er. "Sie wird gleich am Haus sein."

1 Kommentar:

  1. Ach, manchmal ist eine Lüge nicht nur verzeihlich, sondern auch angebracht. Keines der Mädchen hat die Mittel und offenbar will Joe nicht, dass Thorstens Geld dafür verwendet wird. Das kann ich ebenso gut verstehen.
    Sicher wird ihm auch klar sein, dass er Jurina mit dieser Forderung (auch wenn sie es von sich aus angeboten hat) massiv belasten würde. Ihm dürfte bewusst sein, dass die Mädchen Thorsten ohnehin schon viel verdanken und nun auch noch finanzielle Zusatzbelastungen, das tut dem angeknacksten Selbstbewusstsein auch nicht so gut. Von daher ist ihm diese Lüge verziehen und er bekommt meine Absolution. Ausnahmsweise :-)

    Nun bin ich ja mal gespannt, was Mary zu der Situation sagt. Sie scheint ja doch ungewöhnlich aufgewühlt zu sein, was einmal mehr für sie spricht.

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