Samstag, 6. August 2011

Noctambule II: Mütterliche Gefühle

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

"Das ist eine haarsträubende Geschichte, meine junge Dame." meinte sie nun und musterte Miriam streng. Miriam nickte seufzend, erwiderte aber offen den Blick der alten Dame.
"Ja. Aber die Wahrheit." erklärte sie und kuschelte sich tiefer in die Decke. Die kräftige Suppe und Madames pragmatische Art verliehen ihr Sicherheit. Endlich verschwand das schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit und sie war sicher, dass jetzt alles gut werden würde. Allerdings seufzte Madame schwer.

"Also ihr hattet Einbrecher im Haus, die Euch überfallen und das Haus in Brand gesetzt haben?" fasste sie knapp zusammen. Miriam nickte zögernd. Irgendwie stimmte das alles, auch wenn nicht die ganze Wahrheit darin steckte.
"Das muss Lechaivre erfahren. Er muss wissen, wen er jagen muss und wen nicht." erklärte Madame energisch und packte die Klingel, mit der sie ohrenbetäubend nach ihrem Butler rief.
"Louis, in fünf Minuten ist ein Bote mit einer Nachricht von mir unterwegs zu Lechaivre!" verlangte sie knapp und erhob sich entschlossen, um zu ihrem Sekretär zu watscheln, wo sie einige hastige Zeilen niederkritzelte. Sie versiegelte das Papier und drückte es ihrem Butler in die Hand. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, ließ sie sich schnaufend in den Sessel fallen.
"Nun muss ich diesen Geck auch noch bewirten, denn er wird sicher gleich hier auftauchen." maulte sie missmutig. Miriam kaute ratlos auf der Unterlippe.
"Ich möchte mich bei Euch bedanken, Madame. Dafür, dass Ihr die Arbeiter zu meinem Haus geschickt habt und alles." meinte sie nun ein wenig kläglich. Aber sie hatte damit den kurzen Unmut Madames vertrieben. Sie beugte sich vor und tätschelte Miriams Arm.
"Aber meine Kleine, das ist doch selbstverständlich. Wir werden viel zu tun haben, wir beide. Armes Kind, du musst über Nacht sofort erwachsen werden." Ihre Stimme bebte vor ehrlicher Anteilnahme, aber ihr praktischer Sinn gewann schnell die Oberhand zurück.
"Sag, weißt du denn, wo Anya sich aufhält?" fragte sie gelassen. Nun war es an Miriam, tief zu seufzen. Sergej hatte ihr berichtet, dass Anya davon gelaufen war. Aber wie ehrlich durfte sie nun antworten?
"Ach das ist alles so verwirrend. Anya ist verschwunden." meinte sie vorsichtig. Nun war es an Madame, triumphierend zu berichten.
"Bis gestern Nacht war sie bei mir." erklärte sie und beobachtete Miriam genau. Aber mit der quiekenden Aufregung Miriams hatte sie nicht gerechnet. Das Mädchen richtete sich auf und starrte sie an.
"Sie war bei Euch?! Im Ernst? Himmel und Armand ist am Verzweifeln!" Dann stockte sie, denn sie erinnerte sich an das Lügengerüst, das sie gemeinsam mit Anya aufgebaut und mit dem sie Armand zu Anyas Bruder degradiert hatten. Madame hatte Miriams plötzliches Verstummen mit einer gewissen Erheiterung zur Kenntnis genommen.
"Ja und stell dir vor, es ist ein Skandal! Sie erwartet ein Kind von ihrem eigenen Bruder!" erklärte sie mit süffisantem Lächeln. Miriam wurde knallrot und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sprachlos starrte sie ihr Gegenüber an und überlegte verzweifelt, wie sie Anya da wieder herausholen konnte. Wenn Madame das wusste und so verbreiten würde, wäre Anyas Position verloren.
Während Amanda Dubrés sich daran weidete, wie Miriam sich innerlich wand und einen Ausweg suchte, verfluchte sich Miriam im Stillen für diese verflixte Lügengeschichte. Sie schämte sich schrecklich, überhaupt gelogen zu haben, aber das Schlimmste daran war wohl, dass sie nun diejenige belog, die gerade ihre Existenz retten wollte. Verzweifelt klappte sie den Mund auf und wieder zu.
"Da bist du schockiert, nicht wahr?" gurrte Madame zufrieden und kostete offensichtlich Miriams Leiden aus.
"Aber ich will dem nun ein Ende machen. Betrachte es als Strafe für dumme Lügengeschichten." erlöste die Dame sie endlich. Miriam wurde noch dunkler vor Scham. "Ich wusste von Anfang an, dass diese Geschichte nicht stimmen kann. Die Beiden waren nie im Leben Geschwister. Aber ich wollte den Grund für Eure haarsträubende Geschichte herausbekommen und offen gestanden mag ich Anya ebenso wie dich." erklärte sie. Miriam sackte in ihrem Sofa zusammen und blickte beschämt zu Boden.
"Bitte verzeiht mir, Madame. Ich weiß jetzt, wie dumm das von uns war." hauchte sie. Madame nickte bekräftigend und kratzte sich erneut.
"Trotzdem verstehe ich das alles noch nicht. Anya kam völlig durchnässt und aufgelöst hier an, stammelte irgendeine Geschichte von Entführung, Schwangerschaft und dass sie nicht weiß, wer der Vater ist. Sie verschwand letzte Nacht ohne ein Wort wieder. Ich bin geneigt, sie als undankbares, verlogenes Ding zu betrachten." Madames Stimme war deutlich schärfer geworden. Alarmiert blickte Miriam auf.
"Aber das ist nicht gelogen, Madame! Ich verstehe nicht, warum sie wieder weglief, aber sie muss einen wichtigen Grund gehabt haben." In ihrem Köpfchen arbeitete es schon wieder. Armand musste unbedingt davon erfahren. Sehr weit konnte Anya noch nicht gekommen sein und da heute sieben Sonnen am Himmel gestanden hatten, musste sie den Tag irgendwo in einem Unterschlupf verbracht haben.
"Wie auch immer, wir kümmern uns jetzt erst einmal um dich! Mademoiselle Sanisoise scheint meine Hilfe ja nicht wirklich zu wollen." Madame erhob sich und klingelte erneut. "Ich schlage vor, du bleibst erst einmal hier. Lechaivre wird dich sprechen wollen und wir müssen deine Dinge regeln. Für morgen bestelle ich eine Schneiderin, damit du Kleidung bekommst. Ich werde dir einen gewissen Betrag vorstrecken, den du mir dann zurückzahlen kannst, wenn deine Angelegenheiten geklärt sind." verkündete sie energisch und wischte damit das Thema Anya und Armand vom Tisch.
Jetzt waren andere Dinge wichtiger und ihre mütterlichen Gefühle konnten sich bei Miriam nun ungezügelt entfalten.

1 Kommentar:

  1. So kommt Madame also in hohem Alter zu einer "Tochter". Das ist sicher lieb gemeint. Aber Sergej wird das anders sehen, denke ich.

    Und wie süß, dass Miriam immer noch Stand und Ruf wichtig sind. Solche Tugenden haben Armand und Sergej sicherlich schon lange aufgegeben. Und auch Anya hat dafür vermutlich nicht viel übrig, zumal ihr Ausflug in ein "Leben von Stand" ja ohnehin nur ein Kurzer war.

    Hoffentlich hat Miriam genügend Grips schnell genug Armand zu verkünden wo Anya zwei Tage gewesen ist. Er wird sich in den Hintern beissen, dass er im Vorgarten des selben Hauses gelegen hat. Und hoffentlich findet er Anya nun an der richtigen Stelle.

    Liebe Grüße
    Joe

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