Sonntag, 14. August 2011

Noctambule II: Lechaivre übernimmt

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Paul Saint Lechaivre bemerkte nicht, dass ihm Armands Augen folgten, als seine Kutsche die Einfahrt von Madame Dubrés' Haus entlang rollte. Geduldig wartete er darauf, dass sein Kutscher ihm die Tür öffnete und den Tritt ausklappte, bevor er ausstieg.
Es widerstrebte ihm, Madame Dubrés aufzusuchen. Er hatte von seinem alten Vorgesetzten, dem Comtes de Moureaux erfahren, dass sie ihm abgeraten hatte, Lechaivre als seinen Nachfolger vorzuschlagen. Gott sei Dank hatte der Comtes nicht auf seine alte Freundin gehört. Doch seither stand die fette, alte Kuh auf seiner Abschussliste. Er wusste nur noch nicht genau, wie er dieses Weib loswerden konnte.

Sie war ihm unheimlich. Zum einen konnte er sich nie sicher sein, dass sie sich nicht heimlich über ihn amüsierte und ihn auslachte. Die Art, wie sie ihn ansah, gefiel ihm einfach nicht. Ständig lauerte darin eine gewisse Berechnung, ein Beobachten seiner Person und nicht selten sogar ein abfälliges oder gar verächtliches Funkeln. Aber heute war sie nur eine Randfigur, denn er würde sich mehr auf die kleine Comtesse konzentrieren, die nun aus heiterem Himmel wieder aufgetaucht war.
Da das kleine Briefchen der Alten keine weiteren Auskünfte preisgegeben hatte als dass die Comtesse bei ihr einquartiert sei, stand Lechaivre noch vor einem Rätsel. Wäre nicht der Kampf gewesen, den das Personal beschrieben hatte, hätte er sich überhaupt nicht darum kümmern müssen.
Überall in der Stadt gab es immer wieder Brände. Ein schreckliches Übel. Die Leute waren unachtsam, die Häuser zu dicht aneinander gebaut und brannten wie Zunder. Ständig war die Stadt in Gefahr, einem Großbrand zum Opfer zu fallen und der alte Comte hatte gerne auf engere Zusammenarbeit mit den Feuerknechten gepocht.
Brände interessierten Lechaivre nicht. Sie machten nur Ärger und Schmutz. Er hasste Schmutz, Staub und Gestank. Seine Perücke, die er bei Besichtigung des verbrannten Hauses getragen hatte, konnte er wegwerfen, denn der Gestank würde nie wieder hinausgehen, egal wie viel Parfüm man auch verwendet. Das ärgerte ihn kolossal.

Erfreulicherweise hatte man die Ankunft der Kutsche gehört und öffnete bereits die Tür, als er die Stufen hinauf eilte. Der Butler begrüßte ihn höflich und nahm den Mantel des Besuchers entgegen, bevor er ihn in den Salon führte. Lechaivre entging nicht, dass der Butler mit gebührender Vorsicht den teuren Mantel über den Arm legte und war beruhigt. Diesem Butler konnte man trauen, denn er war gut ausgebildet.
"Ah, da ist er ja schon, der Gute. Monsieur Lechaivre, bitte gesellt Euch zu uns. Louis bringt Euch gleich Euren Lieblingswein. Oh ja, der blaue Spätburgunder, ich habe ihn nicht vergessen, mein Lieber." Madame Dubrés watschelte auf ihn zu und gewährte ihm ihre Hand, über die er sich notgedrungen mit charmantem Lächeln beugte, indem er einen Handkuss andeutete.
"Madame, ich eilte so schnell ich konnte, um Eurem Ruf zu folgen." erklärte er und richtete sich mit einer fast graziös anmutenden Bewegung wieder auf.
"Natürlich, wie es sich gehört!" verkündete Amanda und fuchtelte mit der Hand, als wolle sie seine Höflichkeiten beiseite fegen. Lechaivre behielt sein freundliches Lächeln, allerdings blieben seine Augen kalt. Amanda schien sich nicht dafür zu interessieren. Er hätte nicht einmal sagen können, ob sie überhaupt bemerkt hatte, dass er ihren Humor nicht teilte. Er könnte eher darauf schwören, dass es ihr gleichgültig war.
Aber er entdeckte die junge Comtesse, die sich bei seinem Eintreten hastig erhoben hatte. Ihre ungepuderten Haare waren kunstvoll aufgesteckt und mit einem schwarzen Schleierchen bedeckt, das Madame hastig aus ihrem Schrank gegraben hatte.
Sie war ein wenig blass, aber offensichtlich von bester Gesundheit. Das schwarze Kleid, welches erschreckende Knitterfalten und sogar einen notdürftig geflickten Riss aufwies und somit seinen Sinn für Schönheit und Eleganz beleidigte, verlieh mit dem strengen Schnitt der unschuldigen Schönheit des Mädchens einen abstrakten Reiz.
Es war zu dumm, dass Lechaivre wohl keine Möglichkeit haben würde, die Kleine unter vier Augen zu sprechen. Die alte Ziege würde Anstandsdame spielen und sich daran ergötzen, ihm seine Chance zu vermasseln, das hilflose Mädchen zu beeinflussen. Er hatte es sich bereits so schön zurecht gelegt.
Der Name, den Miriam trug, war ein Schlüssel für seine Karriere. Zudem besaß Miriam eine natürliche Schönheit, die ihm äußerst zusagte. Durch die berufliche Nähe zu ihrem Vater hatte er sich bereits Chancen auf ihre Hand ausgerechnet, aber nun sah das natürlich ein wenig anders aus.

Wie aufgefordert ließ sich Lechaivre auf einem der Sessel nieder, nachdem auch die Damen wieder Platz genommen hatten, und streckte elegant seine Beine aus, nicht ohne einen selbstverliebten Blick auf seine blank polierten Schuhe und die schlanken Beine in den hautengen Strumpfhosen.
"Ich möchte natürlich nicht versäumen, Euch mein tiefstes Beileid auszusprechen, ma Chere. Euch ist an einem Tag das Schrecklichste geschehen, was ich mir vorstellen kann." Seine Worte klangen ehrlich. Miriam knetete ihre Finger und nickte sachte. Sie versuchte ununterbrochen, die Erinnerungen an diesen Abend zu verdrängen, aber ihr wurde klar, dass andere Menschen sie in ihrem Mitgefühl noch viele Male daran erinnern würden.
"Danke sehr." meinte sie leise und warf ihm einen kleinen, unsicheren Seitenblick zu. Lechaivre nickte, als habe er damit die lästigen Höflichkeitsfloskeln erledigt und nahm dankend den Wein an, den Louis ihm soeben reichte. Miriam und Madame lehnten kopfschüttelnd ab, was er bedauerte. Er musste alleine trinken, was ihm den halben Genuss raubte.
"Ich möchte nicht darauf herumreiten, Mademoiselle, aber die Erzählungen des Personals sind so durcheinander, dass ich hoffe durch Euch ein wenig Klarheit in die Angelegenheit zu bringen." leitete er seinen Wunsch ein. Miriam blickte auf ihre Finger, die nun mit einer Falte ihres Kleides spielten. Sie war eigentlich nur froh, dass es keine weiteren Verletzten gegeben hatte und dass das gesamte Personal den Weg nach draußen gefunden hatte, bevor noch mehr Unglück hatte geschehen können.

1 Kommentar:

  1. Ach der eitle Fatzke muss die Perrücke wegwerfen? Schon mal was von Waschen gehört? :D Achjaaa. Die Zeit damals war ja nicht so für Waschen.

    Und nun muss die arme Miriam ein weiteres Mal die Geschichte erzählen, die ihr so schmerzlich in Erinnerung ist. Und vor allem, die ihr ja auch schon Madame nicht so recht glauben wollte.

    Wie wird sie LeChaivre das vermitteln können? Wie wird sie ihm erklären, wo sie die letzten Tage gewesen ist? Und das wichtigste: Wird sie verbreiten, was Armand, Sergej und Anya wirklich sind?

    Der eitle Kerl täte besser daran sich um eine ernsthafte Aufklärung zu kümmern, denn das arme Mädchen mit den Augen auszuziehen und sich schon als Ehefrau zuzuschreiben um in der Gesellschaft die nächste Stufe zu erreichen.

    Wer entscheidet jetzt überhaupt über Miriams Angelegenheiten? Und - Wer gibt die arme Waise an den Altar, wenn es so weit ist.

    Ich bin jedenfalls sicher, dass Sergej etwas dagegen hätte, wenn sich so ein aufgeblasener Typ an seine Freundin heranmacht.

    Liebe Grüße
    Joe

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