Montag, 15. August 2011

Noctambule II: Lechaivre als Vormund

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

"Wir wurden überfallen. Von dem einen weiß ich sogar den Namen. Es war George Squire." Madame schürzte kurz die Lippen, denn ihre Zweifel blieben. Lechaivre aber wirkte mehr als verwirrt.
"Überfallen? Mitten in Marseille im eigenen Haus? Und wieso kennt Ihr den Namen?" Miriams Wangen bekamen eine hektische Röte, als sie begriff, dass ihre Geschichte mehr als haarsträubend klang.

"Ich weiß, das klingt alles schrecklich wirr. Das war so: die sind einfach durch ein Fenster bei uns eingebrochen. Dann haben sie Maman und mich angegriffen und Armand und sein Freund, die uns besuchen wollten, die haben das gesehen und sind gar nicht erst durch die Türe sondern auch durch das Fenster. Es kam zu einem scheußlichen Kampf und dabei ist der Vorhang in Brand geraten." stammelte Miriam und blickte scheu in Lechaivres Gesicht.
Dieser starrte Miriam nur an und suchte nach einer Antwort. Da ihm keine einfiel, wanderte sein Blick zu Madame, die nun das Wort ergriff.
"Ich vertraue Miriams Darstellung sehr wohl, mein Guter. Immerhin sprach das Personal von vier Männern in dem Salon. Und alle bestätigen, dass Miriam und ihre Mutter am Boden lagen." Madames Hinweis weckte Lechaivre aus seiner Starre und er nickte hastig.
"Ich würde nie das Wort der Comtesse in Frage stellen!" versicherte er. "Es ist nur äußerst ungewöhnlich. Extrem ungewöhnlich sogar. Zumal dieser Armand Sartous – von dem reden wir wohl hier? – in ganz Marseille als Verbrecher gesucht wird. Und dass dieser so dreist zu einem Trauerbesuch geht, überrascht mich schon sehr." Jetzt war es an Miriam, energisch zu werden. Mutig schob sie das Kinn vor und sah Lechaivre direkt an.
"Euch mag das überraschen. Aber ICH weiß, dass er unschuldig von Euch verdächtigt wird! Er hat mich gerettet und aus dem brennenden Haus geholt, obwohl er selbst dabei verletzt wurde! Und wenn er gekonnt hätte, dann hätte er auch meine Mutter gerettet! Wäre er derjenige, der all diese Verbrechen begangen hätte, dann hatte das wohl ganz anders ausgesehen, meint Ihr nicht?" Madame schaute interessiert zu und hielt sich wieder zurück. Allerdings schmunzelte sie leicht, als Miriam plötzlich Mut entwickelte und musterte nun neugierig Lechaivre. Dieser ließ nicht lange mit seinem Kontra warten.
"Das ist höchst edel von ihm. Aber es überzeugt mich keineswegs, Mademoiselle. In seinem Haus wurden Dinge gefunden, die Ihr nie sehen wollt! Ich möchte Euer zartes Gemüt nicht mit Einzelheiten belasten, aber dort wurden Menschen gefoltert, wenn nicht sogar getötet!" erklärte er und gefiel sich selbst gerade gut. Dagegen hatte die süße Löwin vor ihm sicher kein Argument.
"Habt Ihr Beweise dafür, mein Lieber? Blutspuren, Leichen, Überlebende? Sicher hattet Ihr auch berechtigte Gründe, einfach in sein Haus einzudringen?" Diese Frage kam nun von Madame und das nicht etwa, weil sie Armand schützen wollte, sondern weil sie ihm etwas zum Beißen geben wollte und Miriam verwirrt blinzelte, während sie eine Antwort suchte. Lechaivres Kopf schoss zu ihr herum.
"Nein, ich bin Gott dankbar, keine Leichen gefunden zu haben, Madame." gab er zu. Miriam fasste sich wieder.
"Dann habt Ihr auch keine Beweise. Vielleicht sammelt er so was ja auch nur!" Ihr Gegenüber lachte leicht abfällig und stellte sein leeres Weinglas ab.
"Ich will Euch nicht mit meiner Arbeit belästigen, Mademoiselle. Seid versichert, hier kommt jeder zu seinem Recht. George Squire, sagtet Ihr? Nun, wir werden das selbstverständlich überprüfen. Ich betrachte Eure Aussage als eine Anzeige und diese wiederum als Auftrag an mich, der Sache auf den Grund zu gehen." Er beugte sich in seinem Sessel ein wenig vor und fiyierte Miriam nun scharf. "Ihr habt mir noch nicht berichtet, woher Ihr den Namen des einen Verbrechers wisst, Mademoiselle?" Seine Stimme hatte nun einen neuen Unterton. Die leichte Schärfe verbunden mit einem kaum merkbaren Lauern alarmierte Miriam und sie senkte den Blick auf ihre Finger, die noch immer mit ihrem Kleid spielten.
"Ich hörte, wie Armand ihn nannte." hauchte sie und spürte nun sowohl die Blicke von Lechaivre als auch von Madame bohrend auf sich ruhen. Eine kleine Pause entstand, dann lehnte sich Lechaivre wieder entspannt zurück.
"Wunderbar. Ein Name ist schon Gold wert. Ihr seid unendlich tapfer gewesen, ma chere. Vielleicht sollte ich einen begabten Zeichner herschicken, der sich Eure Beschreibung dieses Mannes anhört und so ein Portrait von ihm erstellen mag. Das erleichtert die Suche erheblich. Doch sagt, wie geht es nun mit Euch weiter? Ich bin höchst besorgt, so eine junge, unschuldige Dame alleine auf der Welt zu wissen." Miriam betrachtete ihn voller Abneigung. Er hatte ihre Worte einfach abgetan und ihr durch die Blume zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht in seine Arbeit einmischen sollte. Doch bevor sie eine Antwort parat hatte, schaltete sich ihre Gastgeberin wieder ein.
"Oh, seid versichert, dass sie nicht alleine steht. Sie wird hier bleiben, solange sie es möchte, ob es nun einen Monat oder ein Jahr dauert." verkündete sie energisch. Lechaivre deutete eine kleine Verbeugung an und lächelte sie mit kalten Augen an.
"Das ist mehr als großzügig, Madame. Doch genügt das leider nicht, um Mademoiselle la Comtesse vor dem weltlichen Übel zu bewahren. Sie benötigt einen Vormund, der ihre finanziellen Interessen vertritt. Oder eine Heirat, wobei bis zu dieser Eheschließung meist der zukünftige Gatte als Vormund auftritt." Schweigen breitete sich im Raum aus. Madame schürzte erneut die Lippen. Sie hatte diese Wendung kommen sehen und musste zugeben, auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrung zu besitzen. Schockiert war eher Miriam. Sie starrte Lechaivre mit offenem Mund an und wusste keine Erwiderung. Dieser nutzte die Pause, nachdem er den Einschlag seiner Äußerung genossen hatte.
"Aber soweit muss es natürlich nicht kommen, meine Liebe. Bis ein Vormund bestellt wird, werde ich mich selbstverständlich zur Verfügung stellen und Eure Dinge regeln. Belastet Euer hübsches Köpfchen nicht damit." erklärte er ihr beruhigend.
Miriam wirkte nicht beruhigt. Sie verabschiedete Lechaivre mit einem gestammelten Gruß und nagte bei der Rückkehr ihrer Gastgeberin auf ihren Knöcheln. Madame plumpste in den Sessel und fächelte sich Luft zu.
"Nun haben wir den Salat. Pfui, das ganze Zimmer stinkt nach seinem Parfum!" beschwerte sie sich. Miriam blickte sie stumm an, nahm aber ihre Hand vom Mund und nestelte an ihrem Kleid.
"Madame, ich will nicht, dass er sich um meine Sachen kümmert. Kann ich das nicht selbst tun?" fragte sie flüsternd. Madame legte ihre gepuderte Stirn in Falten und schüttelte den Kopf langsam.
"Ich fürchte nicht. Das sollte schon ein Mann tun. Nicht einmal ich habe die richtige Ahnung von dem ganzen Finanzkram. Dafür habe ich meine Leute. Aber ich weiß, was wir tun werden! Wir schreiben deinen Onkel an! Soll er sich deiner annehmen, bevor Lechaivre sich an dir bereichert oder gar noch um deine Hand anhält!" verkündete sie und watschelte zu ihrem Sekretär, um sofort einen Brief aufzusetzen. Sie bemerkte daher nicht, wie blass und entsetzt Miriam ihr hinterher sah.

1 Kommentar:

  1. Warum ist Miriam denn jetzt blass? Ist mit ihrem Onkel irgedetwas, was sie nicht sagen mag? Oder ist es einfach noch die Situation?

    LeChaivre hat sich das wohl offensichtlich einfach nur alles angehört und schenkt der Sache doch keinen Glauben. Er sollte besser mal darüber nachdenken, wie es vielleicht auch anders zusammenpassen könnte, als nur auf seine kleine begrenzte Sicht der Dinge.

    Aber Hauptsache die Schuhe sind gewienert. Interessant ist z.B., dass er nicht einmal gefragt hat, wo Miriam die zwei Tage verbracht hat. Armand hat sie gerettet. Miriam muss also wissen, wo er sich aufhält. Aber das Interessiert den kerl nicht einmal.

    Miriam wird hoffentlich aus der Nummer gut herauskommen.

    Liebe Grüße
    Joe

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