Dienstag, 16. August 2011

Noctambule II: Der Baumkletterer

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Sergej torkelte schlaftrunken aus seinem Zimmer und kratzte sich gerade ausgiebig zwischen den Beinen, als das Räuspern ihn zusammenfahren ließ. Erst jetzt bemerkte er, dass er beinahe gegen Maurice gestoßen wäre, der mit einer Tasse heißem Kräutertee auf dem Weg zu ihm gewesen war.
"Jesus, erschreck mich doch nicht so!" fauchte Sergej ihn an. Maurice blieb gelassen.
"Ich bitte vielmals um Verzeihung, das war nicht meine Absicht." erklärte er und versuchte, den desolaten Zustand seines Gegenübers zu übersehen. Sergej hatte in Hemd und Hose geschlafen. Das Hemd war bis zum Bauchnabel offen und ließ den Blick auf eine breite, muskulöse Brust zu. Sergejs Haare waren völlig zerzaust und standen in alle Richtungen ab, was auf einen unruhigen, tiefen Schlaf hinweisen mochte. Der Schreck hatte Sergej jedoch genügend zu Bewusstsein gebracht, um nun ein schiefes Grinsen aufzubauen und auf die Teetasse zu schielen.

"Ist die für mich?" Ohne die Antwort abzuwarten nahm er dem Butler die Tasse aus der Hand und schnupperte genussvoll ehe er trank.
"Ich soll Euch von Mademoiselle Miriam ausrichten, dass sie bei Madame Dubrés verweilen wird. Sie hält dies für schicklicher und kann von dort aus ihre Angelegenheiten regeln." eröffnete Maurice ihm nun ohne die erfrischende Wirkung des Tees abzuwarten. Sergej musterte ihn über den Rand seiner Tasse.
"Ist das eine gute Idee? Ich bin mir da nicht so sicher. Wahrscheinlich wird ihr keiner die Wahrheit abnehmen." überlegte er laut. Maurice blieb weiterhin ungerührt.
"Ich bin davon überzeugt, dass Mademoiselle Miriam ein Geheimnis zu hüten weiß." versuchte er das Mädchen zu verteidigen. Sergej grinste wieder und offenbarte seine weißen, scharfen Zähne, die Maurice jedes Mal mit einer schaurigen Faszination betrachtete.
"Da bin ich mir auch sicher. Aber es reicht schon, wenn sie erzählen will, dass vier Männer in ihrem Salon gekämpft haben und warum. Vor allem sind alle vier unbemerkt am Personal vorbei hineingekommen." Überlegte er weiter. Maurice nickte zustimmend und war froh, von diesen Problemen nicht direkt betroffen zu sein.
"Ist Armand noch da?" erkundigte sich Sergej Tee schlürfend und trottete gefolgt von dem Butler in sein Zimmer zurück.
"Monsieur Sartous begab sich erneut auf die Suche nach Mademoiselle." berichtete Maurice und blieb in der Tür stehen. Sergej gab Maurice die Tasse zurück und zuckte gut gelaunt mit den Schultern.
"Gut. Ich brauch einen Schuss Wasser, dann werde ich ebenfalls verschwinden." verkündete er. Nachdem Maurice ihm einen Krug kalten Brunnenwassers gebracht und er sich erfrischt hatte, verließ auf Sergej das Haus. Von dem vielseitigen Butler hatte er sich den Weg zu Madame Dubrés beschreiben lassen und ging zielstrebig dorthin. Teilweise spurtete er so schnell es ging, dann wieder schlenderte er gemächlich.
Als er schließlich vor der Villa der Grande Dame stand, betrachtete er nachdenklich die Fassade. Besuch schien nicht da zu sein und nur wenige Fenster waren beleuchtet. Im Obergeschoss konnte Sergej nur dunkle Fenster ausmachen. Lautlos umschlich er das Haus bis er im Garten stand. Hier sah er deutlich mehr Licht. Ein Raum im Erdgeschoss war hell erleuchtet. Große Fenster, die bis zum Boden reichten, boten einen großzügigen Blick ins Innere, wo viele Kerzen und ein kleines Feuer im Kamin den Raum erhellten.
Sergej konnte eine äußerst füllige Frau erkennen, die in einem gemütlichen Sofa lag und sich mit diversern Kissen im Rücken bequem halb zurückgelehnt lag. Mit einem Fächer wedelte sie sich frische Luft zu und ihr Gesicht zeigte eine Mischung von ernster Konzentration und mütterlicher Sorge. Von Miriam erkannte er nur das Profil. Sie hatte ihren Sessel so gedreht, dass sie Madame und das Feuer gut im Blick hatte. Sergej fühlte, wie es in seinem Bauch zu flattern begann und atmete tief durch.
Das Herzklopfen blieb und er konnte sich nicht satt sehen an dem hübschen Profil und ihren unbewussten, grazilen Bewegungen, wenn sie nach dem Weinglas griff.
Er musste eine ganze Weile warten, aber das tat er gern. Hier draußen im dunklen hatte er sich gegen einen Baum gelehnt und es sich halbwegs bequem gemacht. Sein Blick wich selten von Miriam und wenn, dann nur um die Umgebung zu sichern oder kurz Madame Dubrés zu mustern.
Aber schließlich erhoben sich die Damen und verließen den Salon. Sergej wurde aufmerksamer und seine Augen tasteten das Obergeschoss nach Licht ab. Kurz sah er einen Kerzenschein aufflammen und wieder verschwinden, dann wurden offenbar gleichzeitig zwei Zimmer betreten, während im Salon vom Butler noch die Kerzen und das Feuer gelöscht wurden.
Sergej zögerte nicht lange. Der Baum, an dem er lehnte, war alt und besaß eine weit verzweigte Krone. Er kletterte kraftvoll hinauf und sobald er die erforderliche Höhe erreicht hatte, spähte er in beide Zimmer.
Dummerweise war bei beiden Zimmern jedes Fenster durch Vorhänge blickdicht verschlossen. Der Unmut äußerte sich in einem leichten Knurren aus der Baumkrone. Aber Sergejs Beobachtungen halfen ihm weiter. Während in dem einen Zimmer sich nichts rührte, waren in dem anderen Zimmer deutliche Schatten erkennbar, die sich im Zimmer bewegten. Die füllige Figur der Hausherrin war deutlich zu erkennen. Sergej vermutete in der anderen Person eine Zofe, die ihr beim Entkleiden half.
Sergej hatte kein Bedürfnis, einen Blick auf eine entkleidete alte Frau zu werfen. Schon gar nicht, wenn im anderen Zimmer seine Angebetete zu sein schien.
Er kletterte nicht vom Baum, er sprang einfach hinunter und landete geräuschlos im weichen Gras. Die Fassade des Hauses lud einen Vampir direkt zum Klettern ein. Etliche kleine Mauervorsprünge und Verzierungen machten es ihm leicht und so hangelte er sich an der Hauswand empor und drückte sich neben dem Fenster mit breitem Grinsen an die Wand, bevor er mit ausgestreckter Hand sacht an die Scheibe klopfte.

1 Kommentar:

  1. Wer wohl für den erwachenden Sergej Pate gestanden hat? :) Ach ich bin ja schon still.

    Also Armand ist auf der Suche nach Anya. Lustigerweise ist er beim gleichen Haus gewesen wie nun Sergej. Madame von und zu Moppeligkeit hat eine zentralere Rolle als sie das vielleicht selbst wahrnimmt.

    So und nun steht also Sergej vor dem Haus und will erneut zu Miriam. Wie die wohl reagiert? Das letzte mal als er durch ihr Fenster hereinkletterte verlor sie ihre Unschuld, verliebte sich ziemlich unsterblich, wusste aber nicht, dass ihr Süßer ein Vampir ist.

    Jetzt ist sie zwar im Prinzip so weit, dass sie sich mit dem Vampirdasein abgefunden hat. Oder doch nicht? Ach schauen wir mal, wie das wird. Ich mag das Fensterln jedenfalls.

    Liebe Grüße
    Joe

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