Sonntag, 21. August 2011

Noctambule II: Auf nach Florenz!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Armand war ratlos. Nachdem er in Marseille sämtliche Orte, die Anya je besucht hatte, umsonst aufsuchte, ging er zu seinem Haus. Man hatte die Wachen abgezogen und es stand dunkel und verlassen. Armand hatte nicht vor, in aller Ruhe hineinzuspazieren und dabei in eine Falle zu tappen. Er lief über die Dächer und brach durch ein Fenster in sein eigenes Haus ein. Aber jeder Raum war leer und verlassen.
Grübelnd saß er nun in seinem alten Sessel vor dem Kamin, die langen Beine ausgestreckt und den Kopf zurück auf die Rückenlehne gesenkt. Er starrte leer an die dunkle Zimmerdecke und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen.

Es war nicht erkennbar, ob Anya hier gewesen war. Nichts hatte sich verändert, kein weiteres Fenster war offen oder beschädigt, es fehlten nicht mehr Kleider als die, die sie damals mit ihm zusammen herausgeholt hatte. In Gedanken ging er noch einmal die Entfernung vom Haus der alten Dame bis hierher durch.
Wenn sie nun wirklich auf dem Weg nach Florenz war, dann musste sie halb Marseille durchqueren, um der Hauptstraße folgen zu können. Was ihm an wenigsten gefiel war die Tatsache, dass sie das Hafenviertel passieren musste, wenn sie einen zu großem Umweg vermeiden wollte.
Ihm wäre es lieber, wenn sie den Umweg gewählt hätte, denn dann hätte er Zeit gewonnen. Er würde nämlich auf jeden Fall diesen Weg wählen. Doch stellte sich ihm die Frage ob sie diesen weiten Weg wirklich barfuß in einem Nachthemd auf sich nehmen wollte. Das konnte er sich überhaupt nicht vorstellen.
Sie hatte also nur die Wahl zwischen Diebstahl oder diesem Haus. Da sie sich für den Diebstahl entschieden haben musste, konnte sie alles tragen. Er vermutete, dass sie sogar bewusst Männerkleidung wählen würde, da die Hosen für so eine Reise einfach praktischer waren.
Mit einer plötzlichen, geschmeidigen Bewegung fuhr Armand aus dem Sessel hoch und verließ das Haus auf dem gleichen Weg, den er hinein gewählt hatte.
In seinem Gesicht blieb die konzentrierte Entschlossenheit. Er würde sie finden, egal wie lange es dauern würde.
Sein Weg durch den Hafen war quälend langsam. Er wollte keine Aufmerksamkeit dadurch erregen, dass er zu schnell würde und bei dem Tumult, der immer hier herrschte, jemanden anrempelte und in Streit geriet. Doch diese Verzögerung ließ seine Miene verfinstern und mehr als einmal stieß er ruppig einen Mann zur Seite, der in seiner Betrunkenheit zu langsam aus dem Weg getorkelt war.
Seine Größe und der finstere Gesichtsausdruck hinderten jeden einzelnen der Männer daran, sich zu wehren. Auf die wüsten Beleidigungen, die ihm hinterher flogen, drehte er nicht einmal den Kopf zurück, sondern er starrte stets gerade aus auf seinen Weg und scannte die Menschenmenge nach Frauen, die Anya ähnelten.
Nachdem er den Hafen verlassen hatte, war der Weg zur Hauptstraße nicht mehr weit und von dort aus startete er zu einem ausdauernden Dauerlauf. Fast die halbe Nacht lief er parallel zur Straße und behielt die Umgebung im Auge. Marseille lag weit hinter ihm, als er endlich anhielt und nach Atem schöpfte. Anya hatte er nicht gefunden.
Wütend zischend sah er sich um. Ihm war klar, dass er nicht mehr umdrehen würde. Sollte sie gegen alle Vernunft noch in Marseille sein, dann würde Sergej sie finden oder sie ihn. Aber er musste Gewissheit bekommen, dass die Sanghieri sie friedlich aufgenommen hatten oder es noch tun würden.

Armand erfrischte sich an einem kleinen Bach mit einigen Händen voll Wasser, um dann seinen Spurt wieder aufzunehmen. Aber das Geräusch von galoppierenden Hufen ließ ihn innehalten und aufhorchen. Sein feines Gehör ortete das nahende Pferd als aus Marseille kommend und seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.
Der Hunger nagte an ihm, bisher durch die Suche verdrängt. Aber ein Reiter bedeutete, dass ein sportlicher Mensch im richtigen Alter auftauchte und nun siegte der Instinkt. Hinter einem Busch wartete er geduckt, bis das Pferd in Sichtweite kam, dann schoss er nach vorne auf die Straße.
Das Pferd erkannte ihn viel schneller als der Reiter und bremste wiehernd ab. Sich gegen den treibenden Befehl des Reiters wehrend stieg es auf und schlug mit den Vorderhufen aus. Armand stand breitbeinig auf der Straße und rührte sich nicht von der Stelle. Konzentriert betrachtete er das Pferd und hörte dabei die Flüche des Reiters. Die Wolken, die bisher den Himmel verdeckt hatten, gaben nun den Mond frei und dieser beleuchtete Armands große Gestalt nicht nur, er warf seinen langen Schatten über die Straße.
Als das Pferd nachgeben und sich dem Reiter beugen wollte, stieß er ein Fauchen aus, das dem Pferd einen neuen Schreck einjagte. Wieder wieherte es und versuchte vor Armand zu fliehen. Unruhig drehte es sich und schleuderte den Kopf herum, um sich gegen den befehlenden Zügel zu stemmen.
Der Reiter hatte Armand zwar inzwischen bemerkt, war aber viel zu beschäftigt damit, sein Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen. Es wehrte sich aber immer noch, zeigte Angst und begann aufgeregt zu schwitzen. Es blieb dem Reiter schließlich nichts anderes übrig, als dem Pferd nachzugeben. Er kehrte um, ritt einige Schritte zurück, um es dann zu wenden. Weiter entfernt beruhigte sich das Tier endlich und der Mann hatte Zeit, sich den Grund des Trubels anzusehen. Armand stand noch immer reglos da, den Kopf leicht gesenkt und den Mann musternd.
Der Fremde musterte Armand unwillig und trieb sein Pferd wieder vor. Diesmal gehorchte es, zwar noch immer nervös, aber beruhigt und gehorsam. Wenige Meter vor Armand blieb es stehen und witterte unsicher mit geblähten Nüstern. Armand beachtete es nicht mehr, sondern hob den Kopf etwas zu dem Reiter hoch.
"Mach Platz, du Idiot! Du hast mein Pferd erschreckt!" verlangte der Fremde zornig. Armand hob den Kopf weiter und sah den Mann direkt an. Mit leicht fragendem Blick signalisierte er Verständnislosigkeit, aber seine Augen funkelten in Jagdlaune.
"Ich brauche dein Pferd." erklärte er ruhig. Die Verblüffung stand dem Mann ins Gesicht geschrieben und übertrug sich auch auf das Pferd, das erneut tänzelte. Er zügelte es und begann zu lachen.
"Kauf dir eines! Und wenn du kein Geld hast, dann geh zu Fuß! Aus dem Weg, Mensch!" Armand schnalzte unwirsch mit der Zunge und schüttelte bedauernd den Kopf.
"Du beleidigst mich andauernd. Erst nennst du mich Idiot und dann auch noch Mensch. Als ob ich so ein Schwächling wie du wäre, ein einfacher Mensch ohne Kraft und Eleganz." meinte er fast bedauernd. Der Fremde stieß einen Fluch aus und griff nach seiner Reitgerte.

1 Kommentar:

  1. Das Gespräch des Reiters mit Armand ist ja wieder mal episch. Armand hat sogar in dieser Situation noch Zeit für dumme Sprüche. Manchmal erinnert er mich schon an James Bond, der auch im Kugelhagel noch jede Bemerkung wechseln kann.

    Aber zu wichtigeren Aspekten: Er hat sich also in seine Florenzidee verrannt. Ich halte das ja immer noch für ausgemachten Unsinn. Aber ich weiss eben auch wo Anya steckt. Es tut mir fast schon leid für Armand, der es zwar in gewisser Weise selbst schuld ist, dass er sie jetzt suchen muss, aber dennoch natürlich von der Situation auch stark belastet ist.

    Und ob er davon ausgehen kann, dass Sergej Anya schon finden wird, ist doch sehr fraglich. Sergej ist frisch verliebt und hat im Wesentlichen sicherlich Augen für Miriam und deren eigene Probleme. Er wird Anya sicherlich keineswegs aktiv suchen. Und auchd as ist nur allzu verständlich.

    Mich wundert ein wenig, dass Armand so gar nichts hinterlassen hat für Anya. Dass er in das alte Haus gegangen ist, ist ja eine prima Idee. Aber er hätte doch etwas dort liegen lassen können für Anya - Etwas, dass sie wissen lässt, dass er ihr 'verziehen' hat, dass er sie sucht. Denn est ist ja schließlich nicht weiter abwegig zu vermuten, dass Anya im Fall, dass sie es von George weg schafft auf die gleiche Idee kommt.

    Jetzt jagt Armand einen Reiter und hat danach ein Pferd. Aber so richtig viel schneller wird er damit auch nicht. Er wird Tage bis Florenz brauchen. Warten wir mal ab, was ihn dort erwartet. Alter Sanghieri hin oder her. Es ist für ihn garantiert die Höhle des Löwen. Sein Mut ist bewundernswert!

    Liebe Grüße
    Joe

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