Mittwoch, 31. August 2011

Noctambule II: Abschied

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Der alte Friedhof hatte lange nicht mehr so viele Kutschen und Trauergäste gesehen wie an diesem späten Nachmittag. Pünktlich zur Beisetzung hatte sich der Himmel wieder bezogen und unterstützte mit seinem grauen Licht die Trauerstimmung. Der Comte hatte in alter Tradition die Familiengruft bereits vor Jahren erweitern lassen, was man ihr von außen jedoch nicht ansehen konnte.

Die Gruft war eingebettet in einen grasbewachsenen Hügel, auf dessen Spitze im Hintergrund die wunderschöne gotische Kapelle thronte. Der Eingangsbereich bestand aus einem massiven Mauerwerk, das der Front des abgebrannten Hauses des Comtes wie ein kleines Abbild glich. Über dem spitzbogigen Tor war das Wappen der Familie eingemeißelt, das schwere Holztor mit Elementen aus dem Wappen verziert.
Heute war es geöffnet und erwartete den Trauerzug, der sich in langsamen, schweren Schritten der Gruft näherte. Voran schritten je acht Sargträger mit der traurigen Last auf den Schultern, zuerst der Sarg des Comtes, dahinter der seiner Gattin. Miriam folgte als Erste, eingerahmt von ihrem Onkel und seiner Familie. Dicht dahinter folgten die geladenen Trauergäste, allen voran Madame Dubrés keuchend auf einen Gehstock gestützt. Der gesamte Adel war vertreten, bürgerliche Geschäftspartner mit ihren Frauen und im Hintergrund lauerten die Schaulustigen.

Dieses Begräbnis war ein gesellschaftliches Ereignis. Nachdem man die Friedhöfe vor die Stadtmauern verlegt hatte, war auf den alten Friedhöfen im Stadtinneren nicht mehr viel los gewesen. Nur wer sich hier noch rechtzeitig einen Platz hatte sichern können, wurde hier auch beigesetzt und es waren natürlich überwiegend Tote aus dem reichen Adel, die noch Platz in ihren Familiengräbern hatten.
Miriam versuchte, sich nicht um die Gäste zu kümmern, die sie immer wieder musterten. Sie hatte die eindringlichen Worte von Sergej im Kopf, sich nicht beirren zu lassen, sie selbst zu bleiben und sich nicht einreden zu lassen, dass sie nun eine mittellose, hilflose Waise sei, die alleine in der Welt steht, umgeben von Schmarotzern und heuchelnden Trauergästen. In vielen Gesichtern hatte sie Mitleid und Fassungslosigkeit gelesen, aber auch ungläubiges Staunen, dass so etwas in ihrer Stadt geschehen konnte. Zudem haftete der stumme Vorwurf des Brandes auf ihr, der die ganze Stadt hätte gefährden können.

So verbarg sie sich hinter ihrem schwarzen Schleier und ließ stumm die stützende Hand zu, die ihr Onkel unter ihren Arm gelegt hatte, nachdem sie kurz ins Schwanken geraten war. Die Bilder des Dramas holten sie beim Gottesdienst wieder ein und auch die schreckliche Tatsache, nun wirklich alleine zu sein, wurde plötzlich brutale Realität. Sie träumte das alles nicht. Es war tatsächlich geschehen. Der Schmerz um den Verlust, die Angst vor der Zukunft und heftiges Vermissen ihrer Eltern schnürten ihr die Kehle zu wie ein Eisenring, der unerbittlich enger gezogen wurde.
Die Anwesenheit der Trauergäste war ihr keine Hilfe. Im Gegenteil hatte sie immer stärker das Gefühl, auf dem Präsentierteller zu stehen, von der ganzen Welt beobachtet und je nach Verhalten eingestuft zu werden. Aber sie wusste nicht, wie man sich in so einer Situation richtig oder falsch verhalten konnte. Wieder hörte sie Sergej: "Bleib dir treu, sei du selbst und lass zu, was in dir geschieht. Niemand hat das Recht über dich zu urteilen!"

Man versammelte sich vor der Gruft und wartete, bis die Gräber nebeneinander aufgebahrt wurden. Unsichtbare Helfer hatten die Blumen und Kerzen bereits von der Kirche herunter gebracht und die Gruft feierlich geschmückt. Als kleines Kind war Miriam ein einziges Mal hier gewesen und hatte sich gegruselt. Sie hatte nichts hören wollen von toten Ahnen, die hier ruhen, und nun sollten ihre Eltern sich in deren Reihen einfügen.
Wieder schwankte sie leicht und erneut stützte ihr Onkel sie fürsorglich, während seine andere Hand beruhigend ihren Arm tätschelte. Die Sargträger kamen mit angemessenen Schritten zurück und stellten sich in Spalierform rechts und links von der Tür auf. Der Priester, der bisher nur schweigend neben Miriam gestanden hatte, nickte ihr nun zu und begleitete sie in die Gruft hinein, bis sie vor den Särgen stehen blieb. Zwar würden sie nicht hier in der Eingangshalle bleiben aber hier war am meisten Platz, um sich von den Toten endgültig zu verabschieden.

1 Kommentar:

  1. Arme Miriam... einmal mehr!

    Aus dem goldenen kleinen goldenen Käfig gerissen, den Vater ihr gebaut hatte - in einen viel größeren goldenen Käfig gesetzt den ihr nun alle bauen. Angestarrt - Ausgestellt - Blosgestellt.

    Erwartungshaltungen gerecht werden - Aber welchen? Trauern? Wehklagen an den Särgen der Eltern? Stoisches Hinnehmen der neuen Situation?

    Und nirgendwo der Mann in Sicht, der diese dunklen Stunden von Zeit zu Zeit aufhellen kann. (Wie ironisch, dass ein Vampir ihr die dunklen Stunden erhellt...) Dennoch ist Sergej jetzt nicht an ihrer Seite. Dafür ein Onkel, den sie vermutlich kaum kennt und der sie vielleicht auch nur dem erstbesten Freier in die Hand drückt.

    In Miriams Leben hat George wirklich unendliches Chaos angerichtet. Ob er sich dieser Tatsache bewusst war, als er das tat? Ob Vampire generell wissen, was sie tun, wenn sie einer Familie vielleicht den Ernährer nehmen?

    Dieses Kapitel verdient jedenfalls auch abseits von Miriams Gefühlen Betrachtung. Es ist wunderschön geschrieben und äußerst bedrückend. Die Situation stellt sich vor dem geistigen Auge sehr genau dar und hinterlässt sogar beim Leser noch ein ungutes Gefühl.

    Liebe Grüße
    Joe

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