Freitag, 8. Juli 2011

Noctambule II: Madame Dubrés Vorgarten

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II

Wieder hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint. Es handelte sich um einen luxuriösen Landauer, der offenbar eine Sonderanfertigung war. Der Fahrgastraum war tiefer gelegt, die Stufen zu beiden Seiten, die den Einstieg erleichtern sollten, waren breiter und auch ein Stück tiefer als üblich. Das erschwerte Armands Manöver, um darunter zu kriechen, gewährte ihm aber einen besonders guten Schutz.

Er hatte nicht genau hingesehen, glaubte aber ein großes, verziertes D auf der Tür gesehen zu haben. Ausgerechnet Madame Dubrés, die das verzierte D als eine Art Wappen führte, wollte er nun nicht über den Weg laufen, war sie doch eng befreundet mit dem Comte und dadurch im Bilde, was die Suche nach ihm betraf.
Eine gefühlte Ewigkeit schien Armand unter der Kutsche liegen zu müssen. Hier schien der sicherste Ort der Welt für ihn zu sein. Menschen hasteten an der Kutsche vorbei, von denen er mit dem einen Auge, das nicht zugeschwollen war, gerade mal die Unterschenkel sah. Sie wirbelten Staub auf, der sich in seine Augen legte oder traten so nah an die Kutsche heran, dass er einen Fuß hätte packen können. Die Pferde waren unruhig und mussten vom Kutscher immer wieder beruhigt werden. Armand merkte das nur am Schaukeln der Kutsche, sie rollte mal ein Stück vor und dann wieder zurück.
Die Dunkelheit und das Chaos auf der Straße gewährleisteten Armand, nicht entdeckt zu werden. Das Stimmengewirr, der Lärm des Brandes und der Feuerknechte, die nun eingetroffen waren, Pferdewiehern und Weinen von Frauen überforderten Armands empfindliches Gehör. Dennoch war er sicher, immer wieder einmal die Stimme von Madame Dubrés zu hören.

Als die Kutsche schließlich anrollte, packte Armand das Gestänge, das unter der Kutsche verlief und die Blattfederung hielt, die den Insassen zu einer bequemen Fahrt verhelfen sollten. Er schob sein gesundes Bein als Stütze unter das gebrochene Bein, hob es an und verankerte die Füße direkt neben der Federung.
Ungefährlich war das keineswegs, aber immerhin schauten seine Füße so nicht unter der Kutsche hervor. So klebte er regelrecht an der Unterseite des Gefährts, während es in zügigem Tempo durch die Straßen ging.

Armand war es völlig egal wohin es ging, doch vermutete er stark, dass Madame nach Hause wollte. Als er eine Einfahrt erkannte und die Kutsche deutlich langsamer wurde, schob er seine Füße von der Stange hinunter, ließ sich noch ein paar Meter mitschleifen und fiel schließlich in den Staub des Weges. Kaum war die Kutsche über ihn hinweg gefahren rollte er sofort seitlich in die Büsche und blieb dort stöhnend liegen.
Er konnte und wollte sich nicht mehr bewegen. Der Schmerz fraß sich durch sein Bein, mehrere Verbrennungen machten jede Bewegung zu einer Qual. Er war erschöpft und fühlte sich ausgelaugt. Mit letzter Kraft zog er sich tiefer in das Gebüsch zurück, das noch nass vom letzten Regen war.
Hier hoffte er, den Tag überstehen zu können. Mühsam zog er sein Hemd aus und rollte es zusammen. Er nutzte es als Beißhilfe, um keine Schmerzschreie von sich zu geben, packte sein gebrochenes Bein und richtete es mit zwei ruckartigen Bewegungen, bis es wieder richtig lag.
Dumpf stöhnte er in den Stoff seines Hemdes und verdrehte die Augen.
Sein Kopf sackte zurück und wieder brauchte er lange Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Als er schließlich das Hemd aus dem Mund nahm und ausrollte, hatten seine scharfen Zähne den Stoff durchlöchert. Aber es reichte noch, um sich mit dem Stoff über dem Kopf vor dem Tageslicht schützen zu können, das möglicherweise ab Sonnenaufgang durch die Blätter der Büsche fallen würde.
Die Gefahr, von einem Spaziergänger entdeckt zu werden, war relativ gering, da er weit genug in die Einfahrt gekommen war und nun tief in den Büschen lag. Gefährlich konnte ihm nur noch ein Gärtner werden, der die Büsche zurückschneiden wollte. Aber bei diesem schlechten Wetter war damit weniger zu rechnen.
Er würde hier verharren müssen, bis seine Kniescheibe wieder zusammengewachsen war. In ungefähr dreißig Stunden hoffte er wieder laufen zu können.
Dreißig Stunden, in denen er weder wusste, was mit Sergej und Miriam geschehen war noch Anya suchen konnte. Einmal mehr verfluchte er den Umstand, dass niemand Anya mental aufspüren konnte.
Die Suche nach ihr würde immer schwerer werden. Armand hasste es, hilflos zu sein. Um sich in seiner schlechten Verfassung nicht George auszuliefern, begann er sich komplett abzuschotten. So würde kein Vampir ihn aufspüren können, auch nicht Sergej. Anya beherrschte diese Fähigkeit leider nicht und sie wäre auch der einzige Grund gewesen, offen zu bleiben. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis er wieder aufstehen konnte.

1 Kommentar:

  1. Ui... Beim Titel habe ich erstmal gedacht, heute ging es wieder um Anya. Aber die Kutsche von Madame wartete vor dem Haus.

    Was wollte die alte Fregatte denn im Haus? Ihre Aufwartung beim Toten machen vermutlich? Hatte sie gar Anya dabei? Jetzt ist Armand so nah und doch so fern bei seiner Geliebten. Wenn er das nur wüsste. Und hingekommen ist er dort in bester Westernmanier. Klasse Manöver :)

    Und er liegt hilflos im Gebüsch. Da ist er zwar erstmal in Sicherheit aber nur, wenn George ihn jetzt nicht dort findet. Der ist bei der ganzen Aktion wesentlich glimpflicher davongekommen und hätte mit Armand jetzt leichtes Spiel.

    Hoffentlich kommt Armand am nächsten Morgen bzw. Abend noch auf die Idee bei Madame zu klopfen und sich für die Gastfreundschaft, ihn im Garten nächtigen zu lassen, zu bedanken. Dann hätte er seine Anya wieder. Nur irgendwie glaube ich, dass das nicht passieren wird ;)

    LG
    Joe

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