Samstag, 16. Juli 2011

Noctambule II: Madame berichtet

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule Band Zwei. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule II


Amanda Dubrés hatte für Anya ein hübsches Zimmer im ersten Stock herrichten lassen, dessen große Fenster zur Südseite, also in den Garten wiesen. Die der Wahl des Zimmers hatte sie versucht, Anyas trübe Stimmung ein wenig anzuheben, denn wenn die Sonne schien, würde das Zimmer lichtdurchflutet sein. Aber Anya bestand darauf, dass die Vorhänge geschlossen blieben und berichtete leise, dass sie im Moment das Tageslicht nicht ertragen könne.

Dieser Umstand machte Amanda heftige Sorgen. Eine junge Frau, die sich im Dunkel aufhalten wollte und aus ihrer depressiven Stimmung gar nicht hinaus kommen wollte, war mehr als alarmierend. Sie beauftragte ihre Zofe damit, sich um Anya zu kümmern und dafür zu sorgen, dass stets frische Blumen in ihrem Zimmer stehen würden. Nachdem Amanda ihren traurigen Gast ins Bett gestopft hatte, war Anya nicht mehr herunter gekommen. Sie war sofort eingeschlafen und als Amanda sie am nächsten Morgen aufsuchte, hatte Anya dennoch dunkle Ringe unter den Augen.
"Ach Kindchen, was mach ich denn nur mit dir?" fragte Amanda eher sich selbst, als sie in den Sessel sank, der neben Anyas Bett stand. Anya zuckte mit den Schultern. Sie wollte nicht undankbar sein und verschwieg Madame daher, dass sie lieber alleine sein wollte. Sie hatte die Nacht nicht gut geschlafen. Ihr Rhythmus hatte sich gänzlich geändert, sie war nachtaktiv geworden und das hatte sich nun gerächt.
Amanda atmete schwer und fächelte sich mit ihrem Taschentuch Luft zu, obwohl es nicht besonders warm im Zimmer war. Draußen regnete es immer noch.
"Wie fühlst du dich denn? Hast du endlich einmal etwas gegessen?" erkundigte sie sich schließlich besorgt. Anya schüttelte den Kopf und lächelte leicht.
"Ich habe keinen besonderen Hunger." erklärte sie dazu und handelte sich Amandas unzufriedenes Schnalzen ein. Amanda schnalzte immer mit der Zunge, wenn ihr etwas nicht gefiel.
"Das geht nicht. Iss wenigstens eine Suppe! Meine Köchin hat immer eine Suppe auf dem Herd stehen, weil ich es liebe, Suppen zu essen. Ich werde jetzt eine ordern und zusehen, wie du sie isst!" erklärte sie energisch und griff nach der Klingel, die neben Anya auf dem Nachttisch stand. Anya fügte sich mit einem kleinen Seufzen und schob sich ein Stück tiefer unter die Decke.

Madame orderte eine klare Rindfleischsuppe und betrachtete Anya mit besorgtem Seufzen. Ihr schien etwas auf der Seele zu liegen, das spürte Anya. In der Hoffnung, etwas Ablenkung von ihrem Kummer zu bekommen und auch aus wachsender Zuneigung zu der alten, gichtgeplagten Dame, fragte sie nach.
"Was bedrückt Euch, Madame?" Amanda lächelte kurz. Sie hatte die Botschaft hinter der Frage verstanden.
"Im Moment scheinen sich die Katastrophen aneinander zu reihen. Gestern geschah etwas sehr Schreckliches. Ich glaube nicht, dass ich dir davon berichten sollte." meinte sie zweifelnd. Aber sie erreichte mit ihrer Antwort nur, dass Anya sich nun erst recht neugierig aufsetzte. Sorge spiegelte sich in ihren Augen. War etwas mit Armand geschehen? Würde sie davon überhaupt zu hören bekommen?
"Bitte, sagt es mir!" flehte sie. Madame Dubrés legte skeptisch den Kopf schief. So klein und blass, wie Anya gerade in den Türmen aus Kissen und Decken wirkte, blühte ihr behütender Mutterinstinkt auf. Fürsorglich beugte sie sich vor und tätschelte Anyas Hand.
"Ach, Kindchen.. vielleicht ist es gar nicht gut, wenn du dich aufregst?" Anya bebte innerlich immer stärker. Nun spürte sie auch noch Übelkeit aufkommen.
"Mit dem, was Ihr da sagt, rege ich mich schon genug auf. Ihr dürft mich jetzt nicht im Unklaren lassen. Bitte, Madame!" Sie stierte Amanda eindringlich an. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, dass sie die Dame ja eigentlich beeinflussen könnte. Doch das war nicht nötig, denn Madame seufzte ergeben und lehnte sich zurück.
"Nun, nachdem du dich gestern hingelegt hast, wollte ich einer sehr unangenehmen Aufgabe nachgehen. Sicher hast du noch gar nicht mitbekommen, dass Miriams Vater unerwartet verstarb. Wie auch, die Nachricht kam ja auch erst gestern durch einen Boten." berichtete sie vorsichtig.
Anya hielt den Atem an. Miriam tat ihr unendlich leid. Den Comte selbst hatte sie zwar als recht nett eingestuft, aber noch nicht so eng gekannt, dass sein Tod ihr Bedauern auslöste. Es ging ihr um Miriam und sie nahm sich sofort vor, Miriam so schnell es ging zu besuchen und zu trösten.
Als sie Amanda ansah, um zu antworten, stutzte sie. In den Augen der alten Dame war ein gewisses Lauern zu erkennen, eine Vorsicht und auch das Zögern, weiter zu berichten. Anya schluckte und klammerte sich an ihre Decke.
"Da ist noch mehr?" hauchte sie unsicher. Madame nickte. Es schien fast so, als würde sie noch immer mit sich ringen, doch schließlich gab sie sich geschlagen.
"Nun, ich hasse diese Besuche in Trauerhäusern, aber das gehört nun einmal mit dazu. Also ließ ich mich hinbringen und schon von weitem war der Feuerschein zu sehen. Das Haus hat böse gebrannt. Es ist nicht mehr bewohnbar. Was für ein schrecklicher Schlag. Aber selbst das ist nicht alles." Anya hielt den Atem an. Mit tellergroßen Augen hing sie an den Lippen von Madame, die nun in Fahrt kam.
"Das ganze Personal konnte sich retten. Man fand eine verbrannte Leiche. Also nicht die vom Comte. Die ist übrigens nicht verbrannt. Anhand des Ringes an der Hand hat man Miriams Mutter identifiziert. Aber Miriam wird nun merkwürdigerweise vermisst. Im ganzen Haus war sie nicht zu finden und das Personal schwört einhellig, dass man beide Frauen im blauen Salon sah, wo das Feuer ausgelöst wurde."
"Lieber Gott!" hauchte Anya fassungslos. Innerhalb eines Tages hatte Miriam also beide Elternteile und ihr Haus verloren. Als ob der Tod ihres Vaters nicht schon schlimm genug gewesen wäre. Aber wie konnte sie nur verschwinden? Und was hatte den Brand ausgelöst? Wo konnte Miriam nur sein? Irrte sie vielleicht in einem heftigen Schock orientierungslos herum? Wenn ja, dann war sie in Gefahr!

1 Kommentar:

  1. Miriam wird vermisst? :) Wenn Anya nur wüsste wo sie ist, dann würde so vieles so viel einfacher.

    Aber nun sitzt das arme Ding, krank vor Sorge, in einem Haus, dass sich um ihre wahren Belange nicht zu kümmern vermag.

    Die Ungewissheit muss Anya so quälen. Und wenn sie wüsste, wie sehr Armand seinen Fehler bedauert.

    Das Schicksal, und damit meine ich KayGee, meint es im Moment wirklich nicht gut.

    Liebe Grüße
    Joe

    AntwortenLöschen

Bitte beim Kommentieren höflich bleiben. Es gibt hier die Möglichkeit Anonym zu kommentieren, aber denke bitte kurz nach ob du das wirklich möchtest. Unterzeichne deinen Kommentar doch mit einem Pseudonym oder deinen Initialen, dass man weiß, welche Kommentare alle von dir sind. Oder noch besser, du nutzt nicht die Auswahl "Anonym" sondern "Name/URL" und lässt das Feld für die URL einfach frei. Dann wird dein Kommentar mit deinem selbst gewählten Namen angezeigt.

Vielen Dank.