Noctambule II: Armands Erkenntnis

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Armand stand in seinem Zimmer am Fenster und starrte blicklos hinaus. Es war ein trüber Morgen und dicke Regentropfen klatschten an die Fensterscheibe. Von Tageslicht konnte bei diesem Wetter nicht die Rede sein, daher ertrug Armand die Helligkeit recht gut, hielt sich aber dennoch im Schatten.
Wieder und wieder hörte er die Stimme von Adaliz, ihren Hohn und ihr spöttisches Lachen. Damals hatte er sich Sorgen gemacht, sie ungewollt geschwängert zu haben. Inzwischen waren hunderte von Jahren vergangen und Armand blickte zurück.


Bevor er Adaliz begegnet war, hatte er einen einfachen Lebensplan gehabt. So jung, wie er damals gewesen war, hatte er nicht viele Aussichten gehabt. Sein Beruf war ihm sicher und irgendwann hätte er bestimmt eine gute Frau gefunden und eine Familie gegründet. So zumindest hatte sein Plan ausgesehen.
Adaliz hatte alle Pläne zerstört indem sie ihn zu einem Vampir gemacht hatte. Die lange Beziehung mit Adaliz hatte ihre Worte bekräftigt und alle Zweifel beseitigt, denn sie war nie schwanger geworden obwohl die beiden viel und exzessiven Sex miteinander gehabt hatten.
Die meisten anderen Frauen in seinem Leben hatten gar nicht lange genug gelebt, um überhaupt schwanger zu werden und Armand hatte auch nicht mehr darüber nachgedacht. Mit Anya war alles anders geworden. Als sie vorhin ihre erste Andeutung fallen ließ, hatte sich kurz helle Freude und Erleichterung in ihm breit gemacht.
Das beschäftigte ihn nun zusätzlich. Er hätte sich tatsächlich gefreut. Und er hätte mit Anya nur zu gerne eine Familie gegründet. Allerdings war er auch nie auf die Idee gekommen, dass Anya ihn betrügen würde.
Mit wem? Sie war oft genug alleine auf die Jagd gegangen, als er krank und blind nicht jagen konnte. Hatte sie einen der Männer verführt und danach getötet? War sie wirklich nicht besser als Adaliz und alle anderen Frauen?
Irgendetwas in ihm weigerte sich, Anya einen solchen Charakterzug zuzuschreiben. Aber was sollte er denn sonst denken? Mühsam zwang er sich zur Ruhe. So lange konnte sie noch gar nicht schwanger sein. Wenn sie jetzt erst Übelkeit und Schwäche spürte, dann war sie gerade mal ein paar Wochen schwanger.
Armand ließ die Zeit rückwärts laufen. Er sah sich selbst mit dieser verdammten Augenbinde, sah wie Anya und Sergej ihn führten und ihm Beute brachten..
Weiter kam Armand nicht. Sergej!! Sergej hatte Anya doch nun weiß Gott lange genug unter seiner Obhut gehabt! Und er war ein reiner Vampir!
Armands Denken schaltete aus. Er drehte sich auf dem Absatz um und stürmte aus seinem Zimmer. Als er die Wohnzimmertür aufstieß, blickte Sergej interessiert auf.
"Geht es ihr wieder besser?" fragte er besorgt. Armand stürmte auf ihn zu, packte ihn an der Jacke und riss den verblüfften Freund aus dem Sessel.
"He…" Die Faust Armands krachte mit schmerzhaftem Schwung gegen Sergejs Kiefer. Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert und die Wucht des Schlages warf Sergej rücklings über den Sessel, der polternd mitsamt Sergej umkippte. Sergej rollte ab und sprang wieder hoch.
Verwirrt starrte er Armand an, der mit geballten Fäusten vor ihm stand, den Kopf leicht gesenkt, die Haare wirr ins Gesicht hängend und die Zähne zu einem wütenden Fauchen gefletscht.
"Kannst du mir mal verraten.." setzte er an. Weiter kam er wieder nicht, denn Armand flog förmlich durch die Luft und prallte gegen ihn. Sergej torkelte zurück, stieß an den Kaminsims und schnappte nach Luft. Erst im letzten Moment konnte er dem nächsten Faustschlag ausweichen, aber Armand setzte nach und drosch ihm die Faust in den Bauch.
Stöhnend krümmte sich Sergej, wurde von Armand aber an den Haaren wieder hochgezogen, um sofort den nächsten Hieb in die Magengrube zu bekommen.