Montag, 28. Februar 2011

Noctambule: Bringt mir Armand!

Dies ist ein Kapitel aus KayGees Noctambule. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Inhaltsübersicht Noctambule

Antonio Sanghieri war alt geworden. Seine blonden Haare waren inzwischen schlohweiß, sein Gesicht faltig und zerfurcht. Der magere Körper ging stark nach vorne gebeugt und er benutzte einen kunstvoll geschnitzten Gehstock. Am lebhaftesten waren die noch immer dunkelbraunen Augen, die mit dem Blick eines Falken jede Kleinigkeit in seiner Umgebung wahrnahmen.


Er dachte gar nicht daran, die Fäden seines Imperiums aus der Hand zu geben. Die ganze Kraft seines langen Lebens steckte in diesem ausgeklügelten System. Er hatte sich im Laufe von fast siebenhundert Jahren eine unerschütterliche Machtposition erarbeitet. Niemand wunderte sich darüber, dass er am Liebsten in den Abendstunden gearbeitet hatte und auch heute noch fast alle geschäftlichen Gespräche mit dem Vergnügen verband und dies natürlich auf die letzten Stunden des Tages verlegte.
Kaufleute, Bankiers und natürlich der Adel verkehrten in seinem großen Haus und genossen die Gesellschaften. Der Aufstieg zur Handelsmacht im dreizehnten Jahrhundert hatte Antonio zu einem der reichsten Männer Italiens werden lassen. Schmarotzer und machthungrige Verbrecher scharten sich ebenso um ihn wie gesellschaftliche Größen und Politiker des Landes.
Fast überall hatte Sanghieri mit seinem Geld tiefe Krisen entweder erzeugt oder beseitigt. Dort, wo Geld ihn nicht weiter brachte, schwärmten seine Schergen aus und setzten skrupellos seinen Willen durch, sei es durch wahre Blutbäder oder Drohungen.
An diesem Abend genoss Sanghieri einen musikalischen Abend. Er hatte sich dieses neumodische Instrument, einen Flügel, bauen lassen und genoss die Klänge, die die zarten Finger der jungen Künstlerin aus den Tasten zauberten. Während der Musik herrschte andächtiges Schweigen in dem großen, aber gemütlich eingerichteten Salon. Sanghieri ließ seinen scharfen Blick über die Gäste gleiten.
Der Bürgermeister von Florenz kämpfte gelangweilt gegen den Schlaf und zuckte regelmäßig hoch, wenn seine Frau ihm ihren Fächer auf die Fingerknöchel schlug. Der Direktor einer florentinischen Bank flirtete mit seiner fünfundzwanzig Jahre jüngeren Geliebten, die er seit dem Tode seiner Frau ganz offen an seiner Seite zeigte. Einige Kaufleute genossen den schweren Wein oder den exzellenten Champagner, nachdem man vorhin mit Sanghieri sehr zufrieden stellende Abschlüsse getätigt hatte.
Als sein Butler sich zu ihm herunter beugte, um ihm einen kleinen Zettel auf einem Tablett zu reichen, runzelte er die Stirn. Ausgerechnet jetzt wollte er nicht gestört werden, aber die Neugier war zu groß und er faltete den Zettel auf.
Als er sich mühsam aus seinem bequemen Sessel hoch quälte, richtete sich im Hintergrund ein junger, elegant gekleideter Mann aus seiner lässigen Haltung auf. Er folgte Sanghieri mit aufmerksamem Blick und respektvollem Abstand aus dem Salon und holte ihn draußen ein, um ihm die Tür des angestrebten Raucherzimmers zu öffnen. Sanghieri nickte nur wortlos und betrat den Raum.
George erhob sich sofort, als Sanghieri das Zimmer betrat, und stellte sein Weinglas auf das kleine Tischchen. Mit einer respektvollen Verneigung begrüßte er den alten Vampir höflich.
"Verzeiht meine unangemessene Kleidung, Signore. Ich erreichte Florenz vor kurzem erst und zögerte keine Sekunde, um Euch aufzusuchen." entschuldigte er seine staubige, zerknautschte Kleidung, die auf eine lange Reise schließen ließ. Sanghieri nickte nur und steuerte einen bequemen Sessel an, während sein Begleiter an der Tür stehen blieb.
"Was gibt es zu berichten, junger Freund? Habt ihr ihn gefunden?" Seine Stimme klang erstaunlich jung und kraftvoll. Sie bildete einen starken Gegensatz zu seiner Erscheinung.
"Das habe ich. Er wird bald hier eintreffen. Es kann sich nur um Stunden, höchstens einen Tag handeln!" George lächelte zufrieden und griff nach seinem Wein. Endlich schien sein Leben sich in bessere, geordnetere Bahnen zu begeben. Er war auf dem Weg, die besten Kontakte zu vertiefen, die man bekommen konnte.
"Sehr gut. Gut gemacht, mein Junge." Sanghieri klopfte mit seinem Stock auf den Boden. "Schaff ihn hierher, sobald er angekommen ist!" befahl er. George breitete leicht die Arme aus.
"Ich könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen. Er wird nicht alleine kommen. Aber vier Mann sollten genügen." seine Stimme klang schmeichelnd und gleichzeitig entschuldigend. Dennoch hob Antonio erstaunt eine Braue.
"Vier Mann? Denkst du, er kommt mit einer Armee? Sagtest du nicht, er sei ein Einzelgänger? Was ist er? Ein Bär?" George lächelte leicht affektiert. Er beherrschte sich perfekt, nur in seinen Augen glomm ein leichtes Funkeln auf.
"Aber Signore! Er wird nicht freiwillig kommen wollen. Ich mag überzeugende Argumente und wie gesagt, er wird nicht alleine kommen." Antonio musterte ihn eingehend.
"Wie auch immer. Zwei werden genügen." Für ihn war offensichtlich, dass George gerade log. Aber das störte ihn nicht weiter. Er erkannte in George den Feigling, der nur mit starker Unterstützung weiter kommen konnte, aber ein loyaler Untergebener sein würde. Begütigend nickte er und hob kurz seine Hand. Dieser Wink löste den Mann an der Tür aus seiner Starre. Er trat zu Sanghieri.
"Roman, ich möchte, dass du und Vincente unseren Freund begleitet. Bringt mir diesen Armand. Lebend!"

1 Kommentar:

  1. Schön wie du die Spannung aufbaust :)
    Hauptsache Anya überlebts

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