Montag, 27. Dezember 2010

Mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

Die Redaktionsarbeit bei der Seattle Times begann erheblich später als beim Intelligencer. Die Seattle Times wurde noch täglich auf Papier gedruckt und der Redaktionsschluss war um 23:00 Uhr. Danach ging es erst morgens wieder los um die Ausgabe des nächsten Tages vorzubereiten. Caroline, eine junge Redakteurin prüfte die Eingänge der Nacht und fand dabei die E-Mail von Martin. Sie stutzte und sah auf die Uhrzeit, zu der die Mail geschickt worden war. Es war kurz nach Redaktionsschluss gewesen, deshalb hatte sie niemand mehr beachtet.

Reflexmäßig prüfte sie die Onlineausgabe der Konkurrenz und schluckte. Der Intelligencer hatte den Artikel, wenn auch stark geändert, im Boulevardbereich auf der Seite veröffentlicht. Sie atmtete tief durch. Man war für diese Geschichte also mindestens einen Tag zu spät dran. Also mussten wenigstens noch ein paar Hintergrundinformationen her.

Aber erstmal prüfte sie die Fotos. Beim Intelligencer waren sie stark nachbearbeitet. Irgendetwas stimmte nicht mit den Originalen, die sie hatte, überein. Dann nahm sie die Fotos von Martin genauer unter die Lupe. Ohne Zweifel war bei den Gesichtern erheblich nachgeholfen worden. So sehr, dass man nicht mehr sagen konnte, ob das Gesicht nun nur schärfer gemacht worden war oder ob es sogar komplett ausgetauscht war. Sie schürzte die Lippen und lehnte sich zurück, wie immer wenn sie intensiv nachdachte. Das roch doch irgendwie komisch. Jetzt war aber klar, was der Intelligencer an den Bildern gemacht hatte. Er hatte die Kanten am Fenster und bei den sichtbaren Teilen der Fassade schärfer gemacht und die Gesichter etwas weicher gezeichnet, damit das Bild wieder einen stimmigen Eindruck bot.

Caroline war sich sicher, dass hier etwas nicht stimmte. Sie packte alles zusammen und sprintete ins Büro des Redaktionsleiteres. "Wir haben einen Skandalartikel zugesandt bekommen. Der Intelligencer hat ihn schon veröffentlicht. Er ging gestern, nicht lang nach Redaktionsschluss, ein." "Zeig mal her.", forderte Gunnar sie auf. "Die Fotos sind manipuliert.", erklärte Gunnar sofort. "Ist mir auch aufgefallen.", sprang Caroline schnell ein. "Die Frage ist, ob es noch die echten Gesichter sind oder ob sie komplett ausgetauscht wurden."

Gunnar zuckte mit den Schultern. Dann beugte er sich auf einmal hastig vor und hackte etwas in den Computer. "Uhhhhh.", gab er langgezogen von sich. "Was ist denn?", hakte Caroline nach. "Jonathan Bernstein steht auf der 'Liste'", erklärte der Redaktionsleiter. Die Liste war eine Datenbank von Leuten, denen die Zeitung irgendwie verpflichtet war. Dazu gehörten die eigenen Leute, die großen Anzeigekunden und auch eine Liste von Leuten, die der Konzern, zu dem die Zeitung gehörte zusandte. Wenn jemand auf der Liste stand bedeutete das zwar nicht, dass man nicht negativ über ihn berichten durfte, aber man sollte sich seiner Sache erheblich sicherer sein als bei Anderen. Außerdem schadete es in so einem Fall nie, sich die Rückendeckung des Chefredakteurs zu holen.

"Manipulierte Fotos, ein Skandalartikel und das über jemand der auf der Liste steht?", fasste Caroline zusammen. "Vielleicht solltest du mal genauer recherchieren lassen?", lächelte Gunnar. "Setz jemand mit Fingerspitzengefühl an die Sache. Und bis heute Nachmittag hätte ich gerne eine vernünftige Vorlage bei mir auf dem Schreibtisch." "Ich werde mal gucken ob ich jemand bei Netcorp reinbekomme. Ich befürchte nur, nachdem der Intelligencer das rausgegeben hat, wird das Telefon nicht mehr still stehen dort."

Gunnar nickte. "Ist mir egal, was dabei rauskommt. Ob das nun wahr ist oder falsch. Aber mit diesem Flickwerk von Fotos gehen wir nicht an die Öffentlichkeit. Nicht bei Jonathan Bernstein." Caroline nickte. "Vielleicht gehen wir ja mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit. Ich kümmere mich sofort drum." Damit verschwand sie aus dem Büro an ihren Schreibtisch und griff sofort zum Telefon.

1 Kommentar:

  1. Geil. Du hast wirklich prachtvolle Ideen. Dass Joe dort auf der Liste steht und die Zeitung da allemal seriöser rangehen will, gibt wieder Hoffnung.
    Allerdings will ich jetzt wissen, wie Joe, Nadja und Grant darauf reagieren *g*

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