Donnerstag, 9. Dezember 2010

Kurzgeschichte: Der bunte Sarg

Diese Kurzgeschichte entstand für den Wettbewerb im Bestatterweblog. Dort habe ich gewonnen. Ich hoffe sie gefällt auch meinen Lesern hier. Viel Spaß damit.

„Hier unterschreiben.“, mault der Typ im Blaumann. Fassungslos starre ich auf die Holzkiste, die wir gerade auf die Garageneinfahrt gestellt haben. Er hatte mich völlig überrumpelt, als er mich bat, beim Abladen zu helfen. „Was soll das? Was ist das? Ich hab nichts bestellt.“ Er schnippt die Asche von seiner Zigarette. Dann schaut er enttäuscht auf den Stummel und stellt fest, dass der letzte Zug bereits abgesogen ist und lässt die Kippe in mein Rosenbeet fallen. „Mir egal. Ich liefere nur aus. Rufen sie den Absender an und veranlassen sie eine Abholung. Hier steht Ihr Name, also ist das für Sie!“


Immer noch streckt er mir das Klemmbrett hin. Seufzend mache ich einen schwungvollen Haken, den ich Paketdiensten gegenüber als Unterschrift verwende und er zieht mir die Liste wieder weg. „Dankeschön!“, sagt er merkwürdig gelöst und schneller als ich gucken kann ist er im Führerhaus seines kleinen Lastwagens verschwunden. Der Motor brummt auf und der Laster setzt sich in Bewegung. Fast etwas benommen schaue ich hinterher. Dann verschwindet er um die Ecke.

Irritiert starre ich auf die Kiste in meiner Garageneinfahrt. Sie ist gute zweieinhalb Meter lang und etwa einen Meter hoch und breit. Immer wieder laufe ich um das Ding herum. Sie ist aus grobem Holz genagelt. Eine Stückgutkiste, wie man sie früher im Hafen häufig gesehen hat. Heutzutage wird fast alles auf Paletten oder gleich in Containern verpackt. Schließlich stutze ich. Nirgendwo an der Kiste ist ein Lieferschein angebracht. Seufzend hole ich mein Brecheisen aus dem Schuppen. Hoffentlich liegt der Schein darin. Wie sonst sollte ich die Abholung veranlassen? Aber was ist überhaupt in diesem Ungetüm? Neugierig bin ich ja schon.
Etwas amüsiert setze ich den Stahl an. Man bekommt ja nicht gerade oft die Gelegenheit eine Schatzkiste aufzubrechen. Vielleicht ist sie ja voll Gold? Dann könnte ich mir das mit der Abholung auch nochmal überlegen. Schade nur, dass sie für Gold zu leicht war.

Krachend geben die Nägel nach und der Deckel löst sich. Holzwolle quillt aus der Kiste und eines nach dem anderen ziehe ich die Bretter ab. Auch Holzwolle habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Styroporchips oder Luftpolsterfolie haben das Material ja eigentlich vollständig abgelöst. Fast schon übermütig wie ein Kind rupfe ich die braunen Fäden heraus. Vielleicht sind die Goldstücke ja darin versteckt? Ein Büschel nach dem anderen lasse ich auf die Pflastersteine fallen. Immer von der kindlichen Hoffnung beseelt, es möge vielleicht doch etwas darin klimpern. Dann stoße ich mit den Händen an etwas Hartes. Es klingt hohl und hölzern wie eine Kiste. „Eine Kiste in der Kiste? Was soll das denn?“, frage ich noch irritiert, als die Holzwolle endlich den Blick freigibt.

Es ist ein Sarg.


„Was machen wir jetzt mit dem schrecklichen Teil?“, will meine Frau wissen. Mein kleiner Sohn trommelt mit den Händen darauf herum. „Lass das!“, motze ich hinüber und er trollt sich. Sein Interesse kann ich ihm allerdings nicht verübeln. Der Sarg ist bunt gestaltet und dekoriert. Der Deckel erinnert fast an ein Pagodendach. Die Kante ist mit vergoldeten Schnitzereien verziert. Gestrichen ist er in grün, rot und blau und merkwürdige Zeichen, den germanischen Runen nicht unähnlich, sind auf der Seite eingeritzt.

Ein Lieferschein war natürlich nicht dabei. Nur die Nummer der Spedition war auf dem Holz der Kiste eingebrannt. Eine vierstellige Telefonnummer. Den Laden muss es schon sehr lange geben. Aber dort weiß man nicht, wer der Absender war. „Ohne eine Sendungsnummer kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“, war die lapidare Antwort.
Meine Frau weckt mich mit einem schmerzhaften Stoß in die Rippen aus meinen Gedanken. „Was wir damit jetzt machen, hab ich gefragt!“, faucht sie etwas gereizt. Ich zucke die Schultern: „Macht sich doch vielleicht als Blumenkübel im Garten sehr gut?“ Ich muss grinsen. Das wäre tatsächlich mal ungewöhnlich. Sie schüttelt aber nur den Kopf und geht wieder ins Haus. Den Kleinen nimmt sie auf den Arm. „Was ist das für eine Kiste?“, fragt er beim Reingehen. „Die ist falsch hier. Papa lässt sie wieder wegbringen.“, erklärt sie.

Etwas verdattert stehe ich auf der Einfahrt. Ich hatte den Sarg aus seiner Transportkiste herausgeholt um auch wirklich überall nach einem Lieferschein suchen zu können. Sogar im Inneren des Sarges selbst hatte ich gesucht. Nicht zuletzt, um auch sicher zu gehen, dass sich hier nicht eine weitere Kiste in der Kiste verbirgt.
Es war zwar weder eine weitere Kiste noch irgendein Schein darin, allerdings, zum Glück, auch keine Leiche. Er war schlichtweg komplett leer. Von Innen war nur das nackte Holz zu sehen und eine merkwürdige Sammlung von 23 Kerben an der oberen Kante. Manche älter, andere scheinbar ganz frisch und alle völlig unregelmäßig. Einige größer und andere klein. Das Fenster im ersten Stock geht auf und meine Frau ruft herunter: „Schaff das schreckliche Ding von der Einfahrt weg. Ich brauche morgen das Auto und außerdem will ich nicht, dass es die Nachbarn sehen.“ Ich seufze und hebe den Sarg an. So schwer ist er gar nicht. Und praktischerweise passt er locker durch das Gartentor. Ich trage ihn hinter den Schuppen und werfe eine Plane darüber, um ihn ein wenig zu verstecken. Dann schaffe ich noch die Transportkiste daneben und die Einfahrt ist wieder frei.


Der Kleine hustet schrecklich. Die ganze Nacht hindurch hat er hohes Fieber und auch am nächsten Morgen ist es nicht besser. Der Kinderarzt zuckt die Schultern: „Das geht rum im Moment.“ Er schreibt ein Antibiotikum und etwas zum Fiebersenken auf, verordnet Bettruhe und raus sind wir wieder. Auf dem Rückweg frage ich mich, ob es eigentlich eine Zeit gibt, wo nichts ‚rumgeht‘. Egal womit ich meinen Sohn beim Arzt vorgestellt habe, es ‚ging gerade herum‘. Erkältungen, Läuse und Kinderkrankheiten. Scheinbar geht alles herum und Nichts kommt jemals zur Ruhe. Eigentlich kann man wohl froh sein, wenn die Kinder auch mal irgendwann gesund sind.

Zu Hause wird er mit Fieberwickeln ins Bett gesteckt und ich verbringe den Vormittag weniger am Schreibtisch als mehr an seinem Bett um seine Hand zu halten. Das Fieber will einfach nicht sinken. Trotz der guten Ratschläge und der Medikamente vom Arzt bleibt es bei nur wenig unter 40°C. Seufzend mache ich zur Ablenkung nach dem Mittagessen eine Runde durch den Garten und rauche dabei meine tägliche heimliche Zigarette. Mein Blick fällt auf die Füße des Sarges, welche unter der Plane herausgucken. Ich hatte das Teil vor Sorge um meinen Sohn fast vergessen. Ich nehme die Plane ab und betrachte alles nochmal genau. Vorsichtig fahre ich mit den Fingern über die Schriftzeichen. In meinem ganzen Studium ist mir so etwas nicht untergekommen. Es sieht irgendwie aus wie germanische Runen. Oder ist das doch ganz etwas anderes?

Mir fällt ein alter Freund aus dem Studium ein. Er ist Professor geworden und in so ungefähr jeder Sprache und Schrift, die es gibt, gebildet. Mit meiner Spiegelreflexkamera schieße ich Fotos von der Schrift und schicke sie ihm per Mail.

Abends fahre ich nochmal mit dem Kurzen zum Notdienst. Er kommt kaum mehr zu Bewusstsein zwischen seinen Fieberschüben. Doch auch der Notarzt zuckt nur die Schultern, lässt ihn aber auf der Kinderstation aufnehmen. „Zur Überwachung. Es ist wahrscheinlich eine Grippe. Das wissen wir, wenn wir die Laborergebnisse haben.“ Dort sitze ich noch eine halbe Stunde nutzlos am Bett meines fiebernden Sohnes bis meine Frau mich ablöst. Wortlos übergeben wir die Obhut über den Kleinen. Sie verspricht in der Nacht nach Hause zu kommen. Und auf jeden Fall anzurufen, sobald etwas Neues herausgekommen ist.

Daheim angekommen versuche ich, wenigstens ein paar Seiten am Computer zustande zu bringen. Doch so recht kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Die Sorge ist schlicht zu groß. Mein Handy liegt ständig neben mir. Sogar zum Klo nehme ich es mit. Lustlos surfe ich im Netz, als ein kleiner Sound mir verrät, dass ich eine neue Mail habe. Mein alter Freund hat zurückgeschrieben.

„Das hast du ja wirklich etwas ganz Exklusives gefunden. Es ist Romani, die Sprache der Roma, geschrieben in Brahmi-Schrift, einem Alphabet, das schon lange nicht mehr verwendet wird. Ich will dich nicht langweilen. Wenn du die Einzelheiten wissen willst, dann schreib mir nochmal und du bekommst du einen ausführlichen Bericht.
Es war eine harte Nuss das zu entziffern und zu übersetzen, doch ich habe es hinbekommen. Es scheint ein sehr alter Zigeunerfluch zu sein. Ich wüsste ja zu gern, worauf er geschrieben ist. Kann ich mir das Teil ansehen?

Hier die Übersetzung(Ich habe mal versucht die Lyrik ein wenig beizubehalten. Ist mir nicht durchgängig geglückt):

Einstmals aus dem Grab genommen,
ist ihm keiner je entronnen.
Ist er erst dein
Wird er einen der deinen holen.
Nicht Feuer verdirbt,
nicht Wasser verschlingt.
Ruhe findet er nur mit dem deinen
dort
woher er gekommen!

So ganz schlau werde ich nicht daraus. Vielleicht hast du ja noch Zeichen übersehen? Ich würde das Teil wirklich gern im Original begutachten.“

Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Mein Handy klingelt, ich erschrecke unheimlich und brauche ein paar Sekunden um mich zu sammeln. Meine Frau ist dran und sie ist völlig aufgelöst. Sie stammelt nur wirres Zeug, bis ein Arzt schließlich das Telefon an sich nimmt. „Würden Sie bitte herkommen? Es geht um Ihren Sohn.“
Sofort mache ich mich auf den Weg in die Klinik. Doch ich weiß längst, was man mir erzählen wird. Nach vielen, gut gemeinten und dennoch vollkommen nutzlosen, Erklärungsversuchen verlasse ich mit meiner Frau im Arm stumm das Krankenhaus. Was soll ich ihr sagen?

Der Typ im Blaumann nagelt die Kiste sorgsam zu. Die Spedition rief heute an. Sie wollten wissen, ob ich den Sarg noch hätte oder ob ich ihn benutzt hätte. Ich verneinte und auf einmal war eine Abholung kein Problem mehr.
„Und wohin geht das jetzt?“, frage ich leise. Doch eigentlich will ich es gar nicht wissen. „Zum Nächsten.“, sagt er nur stumpf und lässt die nächste Kippe in mein Rosenbeet fallen. Ich nicke nur und helfe ihm kurz beim Aufladen. Schließlich hatte ich auch beim Abladen schon geholfen. Dann verschwindet der LKW und ist wenig später um die Ecke gebogen. Ich gehe ins Haus und lege das Bastelmesser, mit dem ich die 24. Kerbe geschnitzt hatte, zurück in die Werkstatt. Gestern war die Beerdigung meines Sohnes. Wir haben es nicht übers Herz gebracht ihn in der bunten Kiste beizusetzen. Ich habe nur eine kleine Kerbe neben die anderen geschnitzt. Schließlich war er erst fünf.

1 Kommentar:

  1. Krass!
    Eine sehr gute Geschichte, mit Gänsehautcharakter!! Du kannst John Sinclair auf jeden Fall das Wasser reichen. Respekt!

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