Donnerstag, 16. Dezember 2010

Kurzgeschichte: Blutiger Schnee

Ich hab euch mal wieder eine Kurzgeschichte geschrieben. Damit es nicht so langweilig wird mit dem heißen Arramoa und dem Sommer in Seattle, gibt es jetzt Schnee. Wer in Deutschland im Moment keinen Schnee sehen kann und auch nichts darüber lesen möchte, kann sich die Geschichte ja bis zum Sommer aufheben.

Liebe Grüße
Joe


Langsam kroch die Kälte in seinen Körper. Seine viel zu dünne Jacke hatte dem Schnee längst nichts mehr entgegen zu setzen. Stück für Stück sog sich der Stoff mit dem Schmelzwasser voll. Er konnte es am Rücken spüren, wie sich die Feuchtigkeit an seinen Körper legte und ihm noch mehr Wärme entzog. Vor seinem Gesicht tanzten die Schneeflocken im leichten Wind ein wildes Ballett. Immer wieder verfingen sich einzelne Kristalle in seinen Wimpern und hauchten unter dem Einfluss seiner kaum noch vorhandenen Körperwärme wie in Zeitlupe ihr Leben aus.

Als eiskalte Tropfen rannen sie tränengleich an seinem Gesicht hinab um schließlich auf dem Boden zu landen und fast augenblicklich wieder zu festem Eis zu werden. Sein Atem ging flach aber gleichmäßig und Schwaden verhüllten beim Ausatmen sein Gesicht. Es war so still, dass er seinen Herzschlag hören konnte. Die weiße Decke, welche der Schnee über die Landschaft gebreitet hatte schien jedes Geräusch zu schlucken. Nichts regte sich.

Bleierne Schwere legte sich über seinen Geist. Bald würde es vorbei sein. Sein Kopf fiel zur Seite und die Straße, die sich kaum 100 Meter von ihm entfernt durch die Landschaft zog, rückte in sein Blickfeld. Der große schwarze Schatten stand nun allein dort und die Scheinwerfer zerschnitten mit ihren grellweißen Xenonlichtkegeln die einsetzende Dunkelheit. Die roten LED-Heckleuchten warfen ein fast schon unnatürliches Licht auf die weiße Fläche und tauchten sie in blutrote Farbe.
Er war noch da. Also konnte er noch nicht aufgeben. Er sog die kalte Luft durch den weit geöffneten Mund tief in seine Lungen. In dem Strom flogen Schneeflocken auf seine Zunge und kühlten ihn weiter aus. Das Loch in seiner Brust gab ein Pfeifen von sich. Er konnte das Blut in seiner Lunge gluckern hören und spürte, wie sich Schaum an der Wunde bildete. Eine Gänsehaut bildete sich am ganzen Körper. Ein letzter verzweifelter Versuch seines Organismus, die Wärme zu bewahren.

Er richtete sich auf und ignorierte den stechenden Schmerz in seiner Brust. Krampfhaft unterdrückte er den Drang seine Qual hinauszuschreien. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Knirschend gab der Schnee unter seinen Füßen nach. So lautlos gerade alles noch gewesen war, so laut kreischten jetzt seine Schritte an sein Ohr. Als er sich wieder der Straße näherte hörte er auch leise den Motor der großen schwarzen Limousine. Er taumelte fast als er herankam. Offensichtlich fühlte sein Ex-Partner sich sehr sicher. Es war eine gute Idee gewesen, sich beim zweiten Schuss, welcher ihn verfehlt hatte, dennoch kunstvoll auf den Schnee zu werfen.

Zwar würde er selbst diese Verwundung hier mitten in der Einöde nicht überleben, das wusste er genau, doch hatte er nicht vor alleine abzutreten. Er griff an seinen Hosenbund und zog die P99 aus dem Holster heraus. Zitternd schob er seinen Finger auf den Abzug und richtete die Waffe auf das Fenster in der Fahrertüre des Wagens. Eine neue Welle der Gänsehaut überzog seinen Körper, doch es war zu spät. Das nasse Diensthemd klebte unter der dünnen Jacke an seinem Körper und ließ ihn immer heftiger zittern.

Er hätte wissen sollen, dass man einem Polizisten, der Drogengeschäfte machte, nicht trauen durfte. Aber neben dem schmalen Gehalt als Kriminalkommissar, waren die Geldbündel, die bei den illegalen Machenschaften winkten, einfach zu verlockend. Doch diesmal war alles schief gegangen. Es hatte sein letzter Deal werden sollen. Er hatte nicht einmal vorgehabt zu reden. Er hatte sich einfach so aus den Geschäften zurückziehen wollen. Aber Aussteiger waren in diesen Kreisen nicht gern gesehen und er hatte gerade noch rennen können, als er sah, wie sein Partner eine Waffe auf ihn richtete. Schlagartig wurde ihm klar, wie es laufen würde. Er würde sterben und der Mann, den sie beide so lange gedeckt hatten, würde die Schuld übernehmen. Er hätte es wirklich wissen sollen.

Die Limousine vor seinen Augen verschwamm kurz und er sackte ein wenig nach vorn. Die Mündung der Waffe titschte ans Fenster. Das klackende Geräusch ließ den Mann auf dem Fahrersitz von seiner Geldzählerei aufsehen. Die beiden Männer sahen sich ein letztes Mal an. In dieser Sekunde wussten sie beide, dass sie sterben würden. Der Schuß brach krachend und fast gleichzeitig splitterte die Scheibe und das Gesicht dahinter wurde zurückgeschleudert. Er schloss die Augen und schluckte. Durch das gesprungene Glas konnte er zum Glück nicht genau erkennen, was der Schuss angerichtet hatte. Doch er wollte sichergehen. Nicht den gleichen Fehler machen. Der zweite Schuß mit vorgespanntem Hahn ließ sich viel leichter abfeuern und eine weitere Kugel bohrte sich in den Kopf. Es war fast vollbracht.

Er musste noch dafür sorgen, dass alles aufgeklärt werden konnte. Das war er schuldig. Den Namen musste er hinterlassen, als Vermächtnis, als Testament. Erst dann konnte er abtreten. Er schleppte sich auf die andere Seite des Wagens, stützte sich dabei an der Motorhaube ab und riss die Beifahrertüre auf. Panisch suchte er in dem blutverschmierten Wagen nach einem Stift. Einen Zettel hatte er schnell gefunden. Doch nichts um damit zu schreiben. Seine Wunde blutete immer weiter und längst hatte die rote Flüssigkeit den Hosenbund erreicht. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Er musste doch nur den Namen aufschreiben.

Enttäuscht sackte er neben dem Fahrzeug zusammen. Seine Beine hatten nicht mehr die Kraft ihn zu tragen und ein Rinnsal löste sich von seiner verschmierten Kleidung und lief langsam über die verschneite Straße und wurde schnell von den tanzenden Flocken zugedeckt.

Er schob den rechten Zeigefinger durch die zerlöcherten Stofflagen in die Wunde. Er konnte die Knochensplitter an seiner Fingerspitze fühlen, die das Wundloch säumten. Sie stammten von seiner Rippe. Dann zog er ihn blutbeschmiert wieder heraus. Der Schmerz dabei war schier unerträglich aber er wiederholte es ein ums andere Mal. Bis er fertig war. Der Schmerz war vergangen und die Dämmerung war vorbei. Es war dunkel geworden. Der Schleier legte sich endgültig über seine Wahrnehmung. Der Gedanke durchfuhr ihn, dass man doch nur einen Pakt mit dem Teufel mit Blut unterzeichnete. Doch in diesem Fall musste eine Ausnahme erlaubt sein. Sein Gesicht trug ein zufriedenes Lächeln, als sein Herz aufhörte zu schlagen.


Nur Minuten später zerriss Blaulicht das nächtliche Schwarz und von da an war alles traurige Routine. Doch der junge Komissar der Spurensicherung staunte nicht schlecht, als er unter dem Wagen die roten Buchstaben enteckte. Klar und deutlich zu lesen, vor dem Schneefall geschützt. Mit Blut stand dort ein Name geschrieben.

3 Kommentare:

  1. Sehr geil! Und lecker ausführlich! Du wirst wahrscheinlich doch Roald Dahl noch Konkurrenz machen ;)
    Und was findet die Polizei nun? Einen Geldzählenden Toten hinter dem Steuer, der nur knapp vor dem anderen durch die Hand des anderen gestorben ist.. Fußspuren der Flucht.. sonst keine, also muss der Kollege hinter dem Steuer geschossen haben. Traurig, traurig. Und zu guter Letzt darf auch noch der gedeckte Mann daran glauben wegen Dealerei. Find ich gut!

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  2. Großartig! Mitreißend beschrieben, düster und dramatisch. Meine bisherige Lieblingsgeschichte in diesem Blog.

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  3. Sehr geil geschrieben. Da hat man beim Lesen das Gefühl einem ist selber kalt. ;)

    Frage mich grade nur warum du denkst das die Story was für mich ist.- :D

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