Donnerstag, 21. Oktober 2010

Kurzgeschichte: Die Guillotine II

Dies ist das zweite Kapitel einer Kurzgeschichte in vier Kapiteln:

- Kapitel 1
- Kapitel 3
- Kapitel 4


Gerd lag auf dem Bauch und angelte unter der Schiene nach dem Kopf. Seine Finger zitterten jetzt schon. Er hielt ihn in den Händen und betrachtete die Augen, welche dunkel in ihren Höhlen lagen. So wirkte er gar nicht bedrohlich. Doch sobald er ihn wieder aufsetzte und das Kabel anschloss starrten ihn die glühenden Augen an.

"Wo warst du so lange? Du hast über fünf Minuten gebraucht. Ich weiss du kannst es in drei Minuten schaffen!", fauchte er wütend. Gerd überkam eine Gänsehaut, wie jedes mal, wenn er die kreischende Stimme des Kobolds hörte. "Es war schwierig deinen Kopf zu finden.", meinte er betreten. Ein leichtes Lallen lag in seiner Stimme. Er hatte noch einmal einen kräfigen Zug aus seinem Flachmann genommen, bevor er es über sich gebracht hatte den Kopf an seinen angestammten Platz zu setzen.

"Und was wird nun werden? Reissen sie den Laden endlich ab?", fauchte den Kobold. "Heute war der letzte Tag.", gab Gerd leise zu. "So ein Scheiß!", brummte die sonore Stimme des Henkers. "Was wird dann jetzt aus uns?" Der Kobold fuhr herum und schrie den Henker an: "Das ist doch egal. Dir schlägt ja auch keiner den Kopf runter." Gerd war auf den Boden zusammengesunken. "Nein.", lachte der Henker fies. "Ich schlage Köpfe herunter.

Die letzte Szene zeigte eine Hinrichtung mit der Guillotine. Der Henker stand mit einer schwarzen Maske verhüllt neben dem Abzugsmechanismus und das Messer sauste herunter, wenn ein Wagen vorbeikam. Das Bild war den Ereignissen der französischen Revolution nachempfunden. Drei adlige Damen warteten gefesselt auf ihre Hinrichtung. Eine vierte lag auf dem Richttisch und bekam jedes mal aufs neue den Kopf abgehakt, wenn das Messer herunter sauste. Andächtig betrachtete Gerd die Szene. Er hatte vor Jahren eine echte Guillotine aus einem Museumsnachlass gekauft und damit das alberne Modell ersetzt, was vorhe dort gestanden hatte.

Überhaupt hatte er seit Jahren viel Zeit investiert um die Geisterbahn in Schuss zu halten. Einen Winter lang hatte er sogar einen Nähkurs belegt um in Zukunft die Kostüme selbst in Ordnung halten zu können. Alle Kollegen im Park hatten ihn dafür ausgelacht. Doch seitdem hatte er viele Kostüme genäht und liebevoll auf die vielen Puppen gezogen. Und die meisten waren auch dankbar gewesen dafür. Überhaupt mochten alle Puppen in der Bahn ihn gern. Monster, Geister, Drachen, sogar der Henker und die Damen. Nur der Kobold konnte ihn nicht leiden.

Oft hatte er gefordert etwas weiter weg von den Wagen eingesetzt zu werden. Außerhalb der Reichweite von Halbstarken, die nach seinem Kopf schlugen. Gerd hatte ihm jedes mal erklärt, dass der Gruseleffekt nur funktionieren würde, wenn er fast in den Wagen springen würde. Doch dem Kobold war das egal. Er wollte nur seine Ruhe.

"Also wenn sie die Bahn abbauen, dann werden wir ja auch nicht hingerichtet?", freuten sich die Damen. "Ach was", brummte der Henker. "Das mach ich heute Nacht noch. Keine Sorge." "Jetzt seid ruhig!", befahl Gerd mit letzter Kraft.

"Die Bahn ist alt und man will sie hier nicht mehr.", erklärte er leise. "Wir sind überhaupt nicht alt.", kicherten die Damen. "Ich bin gerade 24. Das ist doch kein Alter um in Rente zu gehen." Der Kobold grinste böse. "Ihr geht nicht in Rente. Ihr werdet verschrottet. Ihr werdet auf den Müll geworfen. ALLE!" "Aber du doch dann auch?", brummte der Henker. "Ich werde hier schon wegkommen. Ich bin klein und per Computer gesteuert. Ich finde sicher eine andere Arbeit.

So oft hatte Gerd bereut diese neue Figur angebracht zu haben. Sicherlich funktionierte der Schockeffekt zumindest für Kinder hervorragend. Der Kobold sprang aus dem Dunkel hervor und seine Augen leuchteten auf. Es sah wirklich fast so aus als wollte er in den Wagen springen. Und da kein verräterisches Druckluftzischen den Sprung ankündigte kam er für die meisten Besucher wirklich überraschend. Zumal sie sich schon auf der sicheren Fahrt in den Bahnhof wähnten. Doch hatte er Kobold ihm auch schon so viel Ärger gemacht.

Die Gespräche mit ihm, abends kosteten ihn Kraft und Zeit. Er kam oft zu spät nach Hause. Und als er einmal nach Hause kam, war seine Frau nicht mehr da. Und sie kam auch nicht wieder. Und so begann Gerd zu trinken und seinen Kummer mit Alkohol zu betäuben. Länger schon schlief er sogar in der kleinen Werkstatt. Die Türe dazu lag direkt hinter der Hinrichtungsszene. Versteckt durch eine schöne Kulisse, auf der ein wütender Mob in Paris abgebildet war.

3 Kommentare:

  1. Das ist mal was ganz anderes und gefällt mir ausgesprochen gut!

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  2. Absolut gelungene Fortsetzung, bin schon sehr gespannt wie es weitergeht!

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  3. Fast schon traurig für Gerd. Spaß scheint ihm seine Arbeit aber auch nicht zu machen?! C.H.

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