Mittwoch, 20. Oktober 2010

Kurzgeschichte: Die Guillotine I

Wieder einmal eine Kurzgeschichte, aus meiner Feder. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. Da sie zu lang ist, für einen Eintrag werden es mehrere Kapitel.

Liebe Grüße
Euer Geschichtenblogger


Das Klacken von vielen Relais erfüllte die große Halle. Das unterschwellige Dröhnen, dass Tagsüber den Raum erfüllte erstarb und die Notbeleuchtung tauchte alles in ein gespenstisches Licht. schon oft hatte Gerd amüsiert überlegt, dass das fahle Leuchten der Notlampen eigentlich die viel passendere Atmosphäre in die Geisterbahn zauberte. Doch heute war ihm nicht nach solchen Gedanken.

Es würde das letzte Mal gewesen sein, dass er diesen Schalter umgelegt hatte. Die Saison war vorbei und in diesem Winter würde die Geisterbahn irgendeinem riesigen wilden Fahrgeschäft weichen müssen. Sie würden das alles abreißen und den Ort, an dem er nun schon fast dreißig Jahre arbeitete, dem Erdboden gleichmachen.

Seufzend schloss er den Sicherungskasten im kleinen Bahnhof der Station. Auch hier war alles wunderschön gruselig dekoriert. Er wirkte wie ein Burgverlies und die Wagen sahen aus, wie Käfige auf Rädern. So oft hatte er hier umdekoriert und alles neu gestrichen. So viele Jahre hatte er jeden Lackschaden an den Wagen ausgebessert. Wie Perlen auf einer Schnur standen sie jetzt aufgereiht im Bahnhof. Alle zehn Stück hintereinander. In seiner kleinen Bedienerkabine standen jederzeit die Töpfchen mit den wichtigsten Farben. Alles sollte perfekt sein. Und nun war all das egal. Morgen würde alles vorbei sein. "Wir werden uns schon um dich kümmern.", hatte der Chef immer wieder versprochen und im freundlich auf die Schulter geklopft. Aber Gerd konnte doch nur diese Geisterbahn. Mit dem elektronischen Schnick Schnack der modernen Anlagen konnte er nichts anfangen. Hier in seiner Bahn wurden die Puppen noch über mechanische Druckluftanlagen gesteuert. Das war zwar ein sehr anfälliges System, aber er beherrschte es perfekt. Hier gab es nichts, was er nicht reparieren konnte.

Schließlich betätigte er den verdeckten Lichtschalter und auch im Bahnhof ging die Beleuchtung aus. Und zum letzten Mal beschritt er den kleinen Wartungssteg neben den Schienen. Es war zwar fast dunkel in der Halle doch seine Augen gewöhnten sich schnell an die matte Beleuchtung. Und er konnte seinen Weg auch längst auswendig. Und er schaltete die Taschenlampe nur an, wenn er etwas nachschauen wollte. Längst wusste er an welchen Stellen die Gäste etwas kaputt machen konnten. Und mit kurzem geschultem Blick konnte er es schnell erkennen und nicht weniger schnell wieder aufrichten. Manchmal machte er seinen Weg über die geschlungenen Schienen sogar mit geschlossenen Augen. So auch heute. Er wollte nicht mit ihnen reden und ihnen erklären, dass sie alle nun arbeitslos waren. Er würde ihre Vorwurfsvollen Gesichter nicht ertragen.

So schritt er zügig ohne zu schwanken, trotz seines soliden Alkoholpegels, die Schiene entlang und leuchtete hier und da und kontrollierte seine geliebten Puppen als müsse er morgen wieder eröffnen. Vor dem letzten Raum blieb er stehen. Er wusste, was ihn erwarten würde. Als letztes kam die Hinrichtungsszene. Und als allerletzten Schockeffekt sprang aus einer dunklen Ecke an der letzten Kurve, bevor es wieder in den Bahnhof ging, ein Kobold hervor und lachte fies und leuchtete mit seinen Grünen Augen in den Wagen. Er kam sehr nah an den Wagen heran und immer wieder passierte es, dass Jugendliche sich einen Spaß daraus machten nach seinem Kopf zu schlagen. Manchmal fiel der dann herunter. Und auch heute hatten sich kurz vor Parkschluss drei Jugendliche in die Geisterbahn verirrt.

Im Hinausgehen hatte Gerd gehört, wie einer von ihnen gesagt hatte: "Dem blöden Wicht hast du voll die Rübe weggeballert!" Er war kein Wicht, er war ein Kobold und er mochte es nicht, wenn man ihn so falsch bezeichnete. Und er musste ihm nun den Kopf aufsetzen. Und er würde sehr sehr wütend sein.

Dies war das erste Kapitel einer Kurzgeschichte in vier Kapiteln:

- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4

1 Kommentar:

  1. Ein originelles Thema gepaart mit Herz, Nostalgie und Melancholie. Ausgezeichnet!

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