Samstag, 12. Juni 2010

Nadjas Geschichte

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte. Für eine Inhaltsübersicht zu bisherigen Inhalten schaut doch bitte hier: Übersicht Nadja

"Ich komme aus Kiew. Das ist in der Ukraine. Ich habe dort mit meiner Familie in einem Vorort gewohnt. Als ich nach acht Schuljahren meinen Abschluss bekommen habe wollte ich gern Krankenschwester werden. Aber mein Papa hat gemeint ich sollte heiraten und ausziehen. Ich wollte das aber nicht. Ich finde ich bin noch viel zu jung um zu heiraten.

Und was noch viel schlimmer war, er hatte einen total ekligen Kerl ausgesucht, der mein Mann werden sollte. Ivan heißt der. Er ist blöde und total grob. Ständig hat mir Papa in den Ohren gelegen, ich soll doch mit ihm ausgehen. Einmal bin ich dann auch gegangen. Da hat er mir im Kino direkt unter die Bluse gefasst. Einfach so. Er hat nicht mal gewartet, bis das Licht aus war.

Da hab ich ihm eine gescheuert und bin abgehauen. Ich hab's auch meinem Papa erzählt aber der hat gesagt ich soll mich nicht so anstellen. Ivan wär doch 'nen toller Typ und seinem Vater gehört der Supermarkt im Ort. Und wenn Ivan erst der Besitzer wäre, wäre ich 'ne reiche Frau.

Aber ich wollte gar keine reiche Frau sein. Ich wollte viel lieber Krankenschwester lernen statt so einem Arsch den Haushalt zu machen." Bei dem Wort Arsch zuckte sie zusammen. Bei ihren Bemühungen Englisch zu lernen hatte sie natürlich auch einige Schimpfworte aufgeschnappt. Aber sie hatte keine Ahnung welches davon wie schlimm war. Zögerlich hob sie den Blick und sah Joe in die Augen. Aber der hatte nicht mal gezuckt. Offenbar war das Wort nicht so schlimm.

"Aber Papa hat immer weiter gemacht. Ständig hat er Ivan zum Abendessen eingeladen oder sowas und der hat mich dauernd befummelt. Dem war sogar egal ob wer zugesehen hat." Nadja kämpfte schon bei diesen ersten Erzählungen mit den Tränen. Die zahllosen Abende an denen Ivan neben ihr auf dem Sofa gesessen hatte waren schrecklich gewesen. Und wieder lief ihr bei den Gedanken daran die Gänsehaut über den Rücken. "Er ist eklig!", stellte sie abschließende fest. "Und ich wollte ihn nicht. NIEMALS!"

"Und dein Papa hat das nicht eingesehen?", fragte Joe etwas perplex. Dass es Zwangshochzeiten geben könnte, war ihm natürlich klar. Aber nicht in einem wirtschaftlich aufstrebenden Land, wie der Ukraine. Damit hatte er nicht gerechnet. Traurig schüttelte Nadja den Kopf. "Nein. Gar nicht. Meine Mama hat es verstanden. Aber Papa...", sie brach ab und sah fest auf ihre Füße.

Schließlich hob sie doch wieder den Kopf und sah Joe an. "Weißt du es hat keinen Sinn mit ihm zu streiten. Er ist stärker." Zitternd hoffte sie, sich richtig ausgedrückt zu haben und nicht sagen zu müssen, dass Papa sie mehr als einmal für ihre ablehnende Haltung Ivan gegenüber verprügelt hatte. Joe nickte wissend. "Das ist so schrecklich!", sagte er nur und starrte jetzt aufs Meer.

Nun kamen ihm Zweifel, ob er die Geschichte wirklich hören wollte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Die ganze Zeit schon hatte er Nadja im Arm gehalten aber jetzt drückte er sie fest an sich.

Sie verlor den Kampf gegen die Tränen und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Die geprellte Nase schmerzte, als sie gegen sein Schlüsselbein drückte, aber das war ihr egal. Schluchzend schlang sie die Arme um ihn und drückte fest. All die Gedanken, die sie bei dem schönen Leben hier auf Arramoa ausblenden konnte waren wieder da. Der Gedanke daran, dass Papa sicherlich seine Gewohnheiten nicht geändert hatte und Mama und auch Maria nach wie vor verprügelte. Und auch die Tatsache, ihre Mama quasi im Stich gelassen zu haben setzte ihr zu.

Joe fühlte sich schrecklich aber er wollte sie in diesem Augenblick auch nicht loslassen. Fast zu stark drückte er sie an sich und nur sehr langsam hörten die schüttelnden Krämpfe auf und sie beruhigte sich. Unsicher sah sie zu ihm hoch. "Tut mir leid." Sofort schlug sie wieder den Blick nieder und starrte auf ihre Fußspitzen. "Mir tut es leid.", insistierte er. "Ich hatte ja keine Ahnung!", gab er irritiert zu.

Er war vollkommen geschockt. Aber fragte sich selbst, was er eigentlich erwartet hatte. Aufgewachsen in seiner elitären Welt von Privatschulen waren die Probleme, die er in der Schule gekannt hatte, dass die Cheerleader immer nur mit den Footballspielern ausgingen. Von Zwangsheiraten hatte er vielleicht im Sozialunterricht mal gehört. Das war immer weit weg gewesen. In Afrika oder im mittleren Osten vielleicht. Und nun saß ein Opfer neben ihm und sie hatte ihre Familie deswegen verlassen. Ihm graute schon davor, dass sie ausführen könnte, was sie in ihrer Zeit in Deutschland erlebt hatte.

Er sah sie unsicher an und wie sie auf ihre Zehen starrte, wirkte sie so zerbrechlich. Und wieder keimte der Gedanke in ihm auf, den er schon gehabt hatte, als Thorsten ihn aufgeklärt hatte. Er wollte sie beschützen. Er wollte dafür sorgen, dass es nie wieder jemand wagen würden ihr auch nur ein Haar zu krümmen.

2 Kommentare:

  1. Ob er sich den Tag mit so viel Schmerz und Tränen vorgestellt hat?
    Sicher wäre ihm ein lachendes Herumalbern lieber, aber so ist nun mal das Leben. Und nun lernt er das richtige Leben von einem jungen Mädchen, das wohl mehr erlebt hat, als Joes Vater in dessen langen Leben.

    Soll er sie mal beschützen und ihr zeigen, dass es noch ganz andere Seiten gibt, die sie nicht kennt.

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  2. aber eigentl. auch irgendwie verrückt... jeder computer-nerd der was auf sich hält angelt sich heutzutage nen mädel ausm inet :) da kann man sich ja quasi vorher ausgucken welche total runtergekommen sind und aus verhältnissen kommen die sogar ossy osborne als schlecht bezeichnen würde...
    ...allerdings... wer mit fast 30 mit ner 15 jährigen schläft sollte vielleicht auch etwas tolleranter sein ^^
    ...zum glück ist das angesichts der flutwelle alles beinahe belanglos :D (T-3 tage)
    [Ich vergebe 2 Karmapunkte!]

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